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Essen, 22. Juni 2005
| PDS-Gruppe | . | . |
| im Rat der Stadt Essen |
Beteiligungsorientierte, soziale und tolerante Stadt entwickeln
Etatrede von Gabriele Giesecke zum Haushalt 2005
Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren,
wir sind uns hier im Rat wahrscheinlich in vielen Punkten einig. Bei der Einbringung des Haushaltes haben Sie, Herr Oberbürgermeister, genauso wie Herr Nieland betont, dass sich Essen nicht allein aus dem finanziellen Sumpf ziehen kann. Wir brauchen eine Gemeindefinanzreform, die den Namen verdient, und ich kann nur sagen: An der PDS ist sie nicht gescheitert. Wir haben im Bundestag schon im Jahre 2000 umfangreiche, konkrete Vorschläge dazu vorgelegt, die weitgehend deckungsgleich mit den Forderungen der kommunalen Spitzenverbände sind.
Die Finanzreform ist letztlich daran gescheitert, weil der Bundestag sich nicht darauf einigen konnte, die Kommunen zu stärken, und an der Umverteilung der Finanzen von unten nach oben strikt festhält. Daran müssen wir etwas ändern, durch Druck von unten.
Völlig falsch ist dabei unserer Sicht das, was in der gerade in Düsseldorf unterschriebenen schwarz-gelben Koalitionsvereinbarung auf Landesebene steht. CDU und FDP haben sich darauf geeinigt, die Gewerbesteuer zu ersetzen. Damit ist die wichtigste kommunale Einnahmequelle wieder in höchster Gefahr. Es ist aus unserer Sicht nicht hinnehmbar, dass Konzerne, die großenteils auch in den letzten Jahren riesige Gewinne machen, sich dann endgültig aus der finanziellen Verantwortung für die Kommunen zurückziehen können.
Wir appellieren an Sie, meine Damen und Herrn von der CDU und FDP, werden sie gegenüber Ihren Landespolitikern tätig, damit die Pläne zurückgenommen werden. Und wir meinen, dass es angesichts der Finanzlage der Stadt Essen verantwortungslos wäre, auf eine Erhöhung des Gewerbesteuerhebesatzes und eine Ausweitung des Gewerbesteuerprüfdienstes zu verzichten. Die dadurch gewonnenen Einnahmen sollen zweckgebunden für soziale Projekte verwendet werden. Denn unser Finanzproblem ist vor allem ein Problem auf der Einnahmeseite.
Wir sind uns trotzdem einig darin, dass vor Ort zum Abbau des Essener Defizits beigetragen werden muss. Wir sind der Meinung, dass hierfür eine genauere Analyse der Ursachen des Haushaltsloches vorgelegt werden muss. Dabei ist der jetzt vorgeschlagene Weg des interkommunalen Vergleichs problematisch, solange nur die Finanzen betrachtet werden. Vielmehr muss berücktigt werden, dass die Aufgaben der Kommunen unterschiedlich sind, die sozialen Strukturen und die Städte sehr unterschiedliche Wege gegangen sind, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Die Einschaltung externer Berater wird uns da ebenfalls nicht weiterbringen.
Was ebenfalls fehlt, ist eine Bilanz der bisherigen Haushaltskonsolidierung. Einige rufen hier ja bei jeder Gelegenheit nach Privatisierung, aber was die Privatisierungen bzw. stadtinternen Restrukturierungen denn wirklich gebracht, ist völlig unklar. Haben die Auslagerung des Grünflächenamtes in den Betrieb Grün und Gruga, der Allbau-Verkauf an die EVV oder der Verkauf der Anteile der EBE an das RWE wirklich Vorteile gebracht? Ist die Aufgabenerfüllung nun kostengünstiger und effektiver? Dazu gibt es keine Antworten. Auch der vorliegende Haushaltsentwurf und das Konsolidierungskonzept sind deshalb auch - freundlich ausgedrückt - ein Ausdruck der Ratlosigkeit. Und wir alle wissen, dass der Haushaltsplan selbst ganz sicher nie genehmigt wird.
Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren,
Tatsache ist, dass die CDU in den letzten fünf Jahren - erst mit der FDP, dann mit den Grünen im Schlepptau - die Stadtfinanzen darauf konzentriert hat, Essen zur Metropole des Ruhrgebietes auszubauen. Auch das zieht große Folgekosten nach sich, die in der öffentlichen Diskussion keine Rolle spielen. Dort ist fast ausschließlich vom Personal-, vom Jugend- und vom Sozialetat die Rede.
Dabei belastet erst ein Teil der Kosten für den Anspruch der Stadt Essen, Metropole zu sein, heute bereits den Stadthaushalt. Der Zuschussbedarf für Theater und Philharmonie (TuP) stieg um über 10 Mio. Euro durch den Ausbau der Philharmonie im Saalbau. Der Haushalt der TuP allein umfasst 65 Mio. Euro. Dazu kommen die Mietkosten für den Saalbau, mit denen die Baukosten von rd. 70 Mio. Euro abgestottert werden. Über Mieten in Höhe von weiteren 10 Mio. Euro müssen weitere Investitionskosten wie für die neue VHS und die Folkwang-Musikschule zu Lasten des Verwaltungshaushaltes abgetragen werden.
Durch schon begonnene Projekte drohen weitere Belastungen im Verwaltungshaushalt und müssten dringend überdacht werden. Zollverein ist mit 140 Mio. Euro die größte Investition in Essen. Die Tragfähigkeit der geplanten Nutzungen z.B. durch das Ruhrmuseum steht aber noch in den Sternen und birgt so ein unkalkulierbares Risiko für den städtischen Haushalt.
Ähnlich unkalkulierbar sind die Kosten für die Kulturhauptstadtbewerbung. Insgesamt sollen die Kosten - wenn Essen den Zuschlag erhält - mindestens 40 Mio. Euro betragen. Davon wird die Stadt den Hauptteil tragen, mit Fördermitteln von Bund, Land und EU ist nur im geringen Umfang zu rechnen.
Zu all diesen Prestige- und Leuchtturmprojekten fehlt jede bewertende Stellungnahme sowohl in der Haushaltsrede von Ihnen, Herr Dr. Reiniger, als auch vom Kämmerer. Statt dessen wird zum Angriff auf den Bereich Soziales/Schule/Jugend geblasen. Der Haushalt gerät so immer weiter in eine soziale Schieflage. Das die Grünen dies mittragen, wirft eine bezeichnendes Schlaglicht auf ihre politische Kehrtwende und ihre Abkehr von den Ursprüngen grüner Politik.
Die Kehrseite der Profilierung Essen als Metropole des Ruhrgebietes ist eine wachsende Verarmung in der Stadt. Immer mehr Menschen sind auf Transferleistungen angewiesen, die aus dem Bereich Soziales im weiten Sinne aufgebracht werden müssen. Bereits heute leben über 60.000 Menschen von Leistungen nach dem SGB II und damit auf Sozialhilfeniveau. Nach Schätzungen des JobCenters Essen wird sich diese Zahl bis Mitte 2005 auf über 80.000 Menschen erhöhen.
Gerade wegen dieser immer größeren sozialen Problem muss Essen als soziale Großstadt trotz aller Sparzwänge erhalten und ausgebaut werden. Die Ausgaben im Jugend- und Sozialbereich sind in Essen vergleichsweise zu Duisburg und Dortmund hoch. Nur: Wie aussagekräftig ist die Aussage, wenn Essen gleichzeitig Spitzenreiter in Sachen Kinderarmut ist? Bereits jedes 7. Kind ist arm. Diese Kinder müssen ihre Chancen bekommen, da ist die Stadt in vielfacher Hinsicht gefordert.
Daher unser Antrag, dass die Stadt den Eigenanteil für Lernmittel und Schulfahrten für alle Berechtigten nach SGB II übernimmt. Es ist durch nichts zu rechtfertigen, dass Berechtigte nach SGB XII und SGB II unterschiedlich behandelt werden, denn sie bekommen der Höhe nach die gleichen Leistungen. Ich verweise zur näheren Begründung auf unseren Antrag.
Es gibt weitere Handlungsfelder. Der Gesundheitszustand besonders dieser Kinder ist besorgniserregend. Darüber ist sich die Fachwelt einig. Hier ist Handlungsbedarf, z.B. muss die gesunde Ernährung gefördert werden. In der Metropole London gibt es jetzt ein interessantes Projekt: Dort geht populäre Spitzenkoch Jamie in Kindergärten und Schulen und vermittelt Kindern, dass gesundes Essen Spaß macht und schmeckt. Für solche Projekte wären sicherlich auch die Essener Spitzenköche zu gewinnen. Ihr Können haben sie ja auf der Gourmet-Meile gerade wieder einem breiten Publikum unter Beweis gestellt.
Ebenso wichtig ist der Erhalt der Bewegungswerkstatt. Kindern fehlt Bewegung, in ihrer Umgebung finden sie immer weniger Möglichkeiten zum freien Spiel. Es müssen mehr "bewegte Kinderspielplätze" eingerichtet werden, zumal die Einrichtung von "bewegten Spielplätzen" sogar kostengünstiger ist als die Herrichtung konventioneller Spielplätze.
Wichtig ist die Beratung in sozialen Fragen. Durch Erhöhung der Gewerbesteuer könnte endlich auch die von uns seit langen geforderte unabhängige Beratungsstelle für Hartz-IV-Betroffene finanziert werden. Nebenbei könnte die schwarz-grüne Koalition endlich ihr Versprechen einlösen, die Beratungsstelle einzurichten.
Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren,
ich möchte an dieser Stelle ein Wort zu den Bezirksvertretungen verlieren: Es ist kontraproduktiv, dass die Haushalte der Bezirksvertretungen gekürzt worden sind. Die Bezirksvertretungen sind besonders nah an der Lebenswirklichkeit der Menschen in den Stadtteilen. Sie können mit wenigen Mitteln viel erreichen. Sie unterstützen bürgerschaftliches Engagement und setzen so ihre Haushaltsmittel sehr effektiv ein. Wir unterstützen nachdrücklich von fast allen Bezirksvertretungen erhobenen Forderung nach einer besseren Finanzausstattung und einer gerechteren Verteilung der Mittel auf die Bezirksvertretungen. Das bisherige Gießkannenprinzip, dass alle BVen unabhängig von der Bevölkerungszahl und unabhängig von der Sozialstruktur mit gleichen Etats ausstattet, muss verändert werden.
Zu Defizit-Abbau könnte eine effektivere Organisation der Verwaltung ein Baustein sein. Das setzt allerdings ein Personalentwicklungskonzept voraus, dass auf die Beteiligung der Beschäftigten selbst setzt. Wir haben schon vor Jahren einen entsprechenden Antrag in die Haushaltsberatungen eingebracht, der in die Ausschüsse überwiesen wurde. Gefolgt ist daraus nichts. Die Gewerkschaft ver.di hat damals signalisiert, dass sie sich durch solche Maßnahmen Einsparungen von umgerechnet rd. 10 Mio. Euro jährlich vorstellen kann. Grundvoraussetzung wäre allerdings der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, damit niemand Angst haben muss, sich selbst wegzurationalisieren. Die Beschäftigten tragen schon jetzt einen Großteil der Konsolidierung, seit 1995 sind bereits 1400 Stellen in der Verwaltung und 1200 Stellen bei den Beteiligungsgesellschaften weggefallen. Ist es Absicht oder Zufalle, dass Sie, Herr Dr. Reiniger, in Ihrer Haushaltsrede die sonst so beliebte Formel vom Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen vermieden haben? Ein klarstellendes Wort haben die Beschäftigten verdient.
Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren,
letztendlich lässt sich eine sinnvolle Haushaltspolitik nur entwickeln, wenn die Essenerinnen und Essener endlich wirksam in Haushaltsentscheidungen einbezogen werden. Es muss eine gesellschaftliche Debatte über die organisiert werden, in welche Richtung unsere Stadt entwickelt werden soll. Welche Infrastruktur wird angesichts der sinkenden Bevölkerungszahlen gebraucht.? Es ist ein schlechter Witz, wenn Oberbürgermeister Reiniger die "Spitzen" von CDU, SPD, Grünen und EBB am Beratungsprozess zur Haushaltskonsolidierung beteiligt und das als Beitrag zur "Bürgerbeteiligung" bezeichnet. Das hat mit Bürgerbeteiligung nichts zu tun, wohl aber mit Kungelei zur Schaffung breiter Mehrheiten im Rat, um die soziale Schieflage des Haushaltes zu zementieren.
Dem vorgelegten Haushalt 2005 können wir nicht zustimmen.
Es gilt das gesprochene Wort. Sperrfrist: Ende der Rede.
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