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Thema Leasing

Hundert Jahre wie ein Tag / Die heimliche Globalisierung der Städte


Produktion WDR 2001 / RadioFeature
Montag, 26. November 2001, 22 - 23 Uhr, WDR 3

Zahlreiche Städte in Deutschland und Europa wollen einen Reibach machen: Sie verleasen kommunale Klärwerke, Straßenbahnen, Messehallen oder Schulen für 100 Jahre an "US-Investoren" und leasen sie zurück. Dabei entstehen in den USA Steuervorteile, von denen die Städte einen Anteil als "Barwertvorteil" erhalten.

Werner Rügemer hat in einer aufwendigen Recherche Erstaunliches gefunden: Kein Ratsmitglied hat je einen Leasingvertrag im Wortlaut gesehen. Die Investoren gibt es nicht. Es sind Briefkastenfirmen, die von Banken, auch deutschen Landesbanken, in den USA und auf den Cayman Islands gegründet werden.

Die Steuervorteile sind nach US-Recht nicht zulässig, fließen aber trotzdem. Die Städte lassen sich durch den Barwertvorteil ködern, der am ersten Tag des Vertrages ausgezahlt wird. Die langfristig enormen Risiken werden der Öffentlichkeit verheimlicht. Der Kommunal-Krimi gibt einen Einblick in tabuisierte Untiefen der globalisierten Finanzwelt.

Von Werner Rügemer

Autor:

Eine so grosse Summe bekam die Stadt Köln noch nie überwiesen. 1,3 Milliarden Deutsche Mark standen eines Tages im April 2000 auf dem Kontoauszug. Er wurde im Rathaus der Millionenstadt gebührend bewundert. Freudestrahlend hielt Stadtkämmerer Werner Böllinger die Trophäe in die Fernsehkameras.

Sprecherin:

Das Geld musste zwar umgehend auf die Cayman Islands in der Karibik zurücküberwiesen werden. Nämlich an den Absender in Georgetown, der Hauptstadt der Cayman Islands. Die Freude kam daher, dass Stadtkämmerer Böllinger von dem Milliardenbetrag immerhin 54 Millionen Deutsche Mark einbehalten konnte. Er überwies also am selben Tag nicht 1,3 Milliarden, sondern nur 1,246 Milliarden Deutsche Mark zurück nach Georgetown.

Hundert Jahre wie ein Tag

Die heimliche Globalisierung der Städte

Von Werner Rügemer

Autor:

Auf der Überweisung, die der Stadtkämmerer so freudig in die Kameras hielt, war der Absender mit schwarzer Farbe unkenntlich gemacht. Das wird auf die Schnelle kaum einem Fernsehzuschauer aufgefallen sein. Seltsam. Warum gibt der Wohltäter sich nicht zu erkennen? Warum wird er von den Spitzen der Stadtverwaltung versteckt? Was will er mit dem Millionengeschenk?

Sprecherin:

Der Stadtkämmerer hatte nach der freudestrahlenden Präsentation der Trophäe in die Fernsehkameras gesagt:

O-Ton Böllinger (1), Kassette I, B, 280-283

"Es ging alles mit rechten Dingen zu. Es sind legale amerikanische Gesetze, an die wir uns auch streng gehalten haben."

Autor:

"Legale Gesetze". Gibt es auch illegale Gesetze? Was soll diese unsinnige Überbetonung des Legalen? Oder enthält die Verbindung "legale amerikanische Gesetze" ein Geheimnis oder eine Erklärung?

Sprecherin:

Solche Überweisungen aus der Karibik und anderen exotischen Finanzoasen gehen heute Monat für Monat auf den Konten deutscher Stadtverwaltungen ein. In Köln und Düsseldorf, in Dresden und in der Lutherstadt Wittenberg. Übrigens auch auf den Konten von Stadtverwaltungen in den Niederlanden, in der Schweiz, in Österreich. In ganz Europa.

Autor:

Versuchen wir, die Spur dieser verborgenen Wohltäter aufzunehmen.

* * *

Sprecherin:

Auch am 29. Februar 2000 trat der Kölner Stadtrat wie immer nach dem öffentlichen Teil seiner Sitzung in den nichtöffentlichen Teil ein. Da ging es um die Annahme von Vermächtnissen und um Genehmigungen zur Zweckentfremdung von Wohnraum. Wir gehen jetzt nicht der Frage nach, warum gerade so etwas vor den Bürgern geheimgehalten wird. Wir konzentrieren uns auf den Tagesordnungspunkt 24.2 dieser nichtöffentlichen Ratssitzung. Er hiess "Grenzüberschreitendes US-Leasinggeschäft für Klärwerke der Stadt Köln". Am nächsten Tag wurde in den lokalen Tageszeitungen gleichlautend folgende Pressemitteilung der Stadtverwaltung verbreitet:

Zitator:

"Der Rat gab in seiner gestrigen Sitzung grünes Licht für eine grenzüberschreitende US-Leasing-Transaktion. Damit werden das Grossklärwerk Stammheim, die Klärwerke Langel, Weiden und Rodenkirchen sowie Teile des Kanalnetzes zu einem Wert von 1,3 Milliarden DM an einen US-Investor vermietet und von der Stadt gleich wieder zurückgemietet. Der Vertrag läuft 24 Jahre. Der Steuervorteil, der dabei in den USA entsteht, wird unter den Leasingpartnern aufgeteilt. Auf die Stadt entfallen etwa 54 Millionen als sogenannter Barwertvorteil. Er soll ausschliesslich zum Vorteil der Gebührenzahler verwendet werden."

Sprecherin:

Zum "Investor" wurden folgende Angaben gemacht:

Zitator:

"Investor ist ein von der First Union Gruppe aus den USA bonitätsmässig abgesichertes Unternehmen. Es ist die First Fidelity Bank. Die First Union Gruppe ist mit einer Bilanzsumme von 237 Milliarden Dollar im Jahre 1998 die sechstgrösste Bankengruppe in den USA. Eingeschaltet als Abwickler ist die Deutsche Bank."

Autor:

Klingt vielleicht gut, für bankengläubige Ratsmitglieder. Aber ist es nicht seltsam? Der Name des unmittelbaren Geschäftspartners der Stadt auf den Cayman Islands wird nirgends genannt.

Sprecherin:

Den Ratsmitgliedern war für ihre Entscheidung die Drucksache 1243/000 ausgehändigt worden. Das war eine kurze Zusammenfassung des Vertragswerks, verfasst von der Deutschen Bank. Genauer gesagt, verfasst von den für solche US-Leasinggeschäfte spezialisierten Töchtern der Deutschen Bank, der Deutschen Export Leasing GmbH, Frankfurt und der Allco Finance Group Limited, New York. An der Abfassung ebenfalls beteiligt war die von der Deutschen Bank beauftragte Anwaltskanzlei Allen & Overy, Frankfurt und New York.

Autor:

Seltsam. Sage ich mal so spontan rechtsstaatlich. Da beschliesst die Ratsmehrheit einen Vertrag, den kein einziges Ratsmitglied je gesehen hat. Obwohl es um 1,3 Milliarden Mark und eine Laufzeit von 24 Jahren geht. Für die Abfassung des Vertragswerks hat die Anwaltskanzlei ein paar Millionen Mark bekommen. Das Vertragswerk hat, wie zu erfahren ist, einen Umfang von 550 Seiten. Und die Deutsche Bank hat für das Arrangieren des Vertrages ebenfalls mehrere Millionen Mark bekommen. Da muss es doch wohl um mehr gehen als um ein einfaches, wohltätiges Geschenk von 54 Millionen.

Sprecherin:

Der Kämmerer und die Mehrheitsfraktionen haben es kategorisch abgelehnt, die Verträge den Ratsmitgliedern vorzulegen. Die aufmerksame Bürgerin Karin Fischer fand das unmöglich. Sie wandte sich mit einem Bürgerantrag an den Beschwerdeausschuss des Rates. Sie verlangte die Offenlegung der Verträge. Am 22. Mai 2000 war es so weit. Der Beschwerdeausschuss tagte. Die Ausschussvorsitzende eröffnete die Sitzung.

O-Ton Beschwerdeausschuss (2) Kassette 1, A, 330-333

"So, meine Damen und Herren, ich begrüsse Sie zur heutigen fünften Sitzung des Beschwerdeauschusses ganz herzlich."

Autor:

Herzlich ging es zu, zunächst. Man gratulierte einer Ratsfrau zur Geburt ihres Babys.

O-Ton Beschwerdeausschuss (3) Kassette 1, A, 333-339

"Gestatten Sie mir vorab, der Frau de Santos-Hermann ganz herzlich zur Geburt eines kleinen Jungen zu gratulieren. (Beifall, Klopfen) Wir wünschen alles Gute, wir hoffen, dass es Ihnen gut geht, dem Baby gut geht und dem Vater auch gut geht. (Lachen)."

Autor:

Dann wurde es ernst, und etwas weniger herzlich.

O-Ton Beschwerdeausschuss (4), Kassette 1, A, 369-375

"So, ich rufe auf Punkt 2.2 der Tagesordnung, Eingabe von Frau Karin Fischer zur Offenlegung der Akten und Verträge im Zusammenhang mit dem US-Leasinggeschäft. Frau Fischer, ich begrüsse Sie... Sie haben, Sie können zehn Minuten, müssen aber nicht."

Sprecherin:

Bürgerin Fischer bedankte sich höflich für die Einladung. Sie fragte, ob den Ausschussmitgliedern die schriftliche Begründung ihres Antrages vorliege? Die Vorsitzende und die Ausschussmitglieder blätterten ratlos in ihren Unterlagen. Die Begründung lag nicht vor. Es konnte nicht geklärt werden, wo der dreiseitige Brief abgeblieben war. Bürgerin Fischer wurde etwas nervös. Sie fing sich und fasste ihren Antrag noch einmal zusammen.

O-Ton Beschwerdeausschuss (5), Kassette 1, A, 387-392

"Also, ich hatte diesen Antrag gestellt auf Offenlegung, um in Erfahrung zu bringen, worum es sich bei diesem Geschäft tatsächlich handelt und welche Folgen und Risiken für die kommunale Selbstverwaltung der Kölner Abwasserwirtschaft damit verbunden sind."

Sprecherin:

Sie wies sehr kundig und sehr geduldig darauf hin, dass gegenwärtig in der Wasser- und Abwasserwirtschaft viele Änderungen diskutiert werden, etwa die Trennung von Industrie- und Haushaltsabwässern oder die Verrieselung von Regenwasser. Das alles würde zur Entlastung und Verkleinerung der Klärwerke und Kanäle führen. Und zu niedrigeren Gebühren. Es sei aber unklar, ob das unter dem Leasingvertrag noch in der freien Entscheidung des Kölner Rates stehe. Und überhaupt gehe es heute ja ebenso global wie rabiat zu.

O-Ton Beschwerdeausschuss (6), Kassette 1, B, 195-

"Es gibt ein internationales Gerangel grosser Firmen um Wasserrechte, in jeder Hinsicht. Deshalb kann ich das nicht so naiv sehen und würde doch gerne darauf drängen, dass genauer geprüft wird, was in den Verträgen drinsteht, zumal wenn es hier heisst, dass auf dieser Basis noch weitere Geschäfte gemacht werden sollen. Und ich möchte die politischen Fragen beantwortet haben, ob die Kölner Bürger hier, wenn sie im Rahmen der Agenda 21 sich engagieren und versuchen, umweltpolitisch was zu machen und auch auf die Abwasserentsorgung und die Trinkwasserversorgung Einfluss nehmen wollen, ob sie das dann noch können oder nicht oder ob ihnen in zehn Jahren gesagt wird: Nee, ihr habt doch damals eure Rechte für 54 Millionen DeMark verkauft."

Sprecherin:

Danach durfte der Leiter der Abteilung "Allgemeine Haushaltsangelegenheiten" den Antrag der Verwaltung begründen, warum der Bürgerantrag von Karin Fischer abgelehnt werden müsse. Alle Grundstücks- und Mietangelegenheiten seien eben grundsätzlich nicht öffentlich zu behandeln. Übrigens habe der Regierungspräsident auch schon seine Zustimmung gegeben. Auf die Frage nach der zukünftigen Entscheidungsfreiheit der Stadt in Sachen Wasser- und Abwasserwirtschaft ging er mit keinem Wort ein. Er warb sehr, sehr höflich um Verständnis für die Wünsche des unbekannten Investors. Jeden dritten Satz begann er mit "im übrigen":

O-Ton Beschwerdeausschuss (7), Kassette 1, A, 487-490

"Ich darf im übrigen um Verständnis dafür bitten, dass wir einer Forderung des US-Investors, einer durchaus nachvollziehbaren Forderung des US-Investors uns beugend, dazu verpflichtet hatten, Betriebsinterna und ähnliches, die dieses Geschäft stören könnten, vertraulich zu behandeln."

Sprecherin:

Eine Verletzung der Vertraulichkeit könnte böse, schwerwiegende Folgen haben, so deutete er ebenso höflich wie unmissverständlich an.

O-Ton Beschwerdeausschuss (8), Kassette 1, A, 490-494

"Ich darf daran erinnern, dass es Gegenstand dieser Abmachung mit dem US-Investor ist, dass wir, insofern wir unsererseits diese Vereinbarung verletzen, uns schadensersatzpflichtig machen, mit einer Folge, die ich nicht abzuschätzen vermag."

Sprecherin:

Als erster meldete sich ein CDU-Ratsherr zu Wort. Er habe zwar selbst auch die Verträge nicht gesehen, habe aber vollstes Vertrauen in die Verwaltung ebenso wie in jene Frankfurter Anwaltskanzlei. Die Verträge dürften der Bürgerin Fischer nicht gezeigt werden, ganz klar.

O-Ton Beschwerdeausschuss (9), Kassette 1, B, 068

"Also die CDU-Fraktion schliesst sich dem Verwaltungsvorschlag hier an."

Sprecherin:

Dagegen liessen die Vertreter von SPD und Grünen viel Verständnis für das Anliegen der Bürgerin Fischer erkennen, zunächst. Die Ratsfrau der SPD zerquälte sich regelrecht vor Bedenken.

O-Ton Beschwerdeausschuss (10), Kassette 1, B, 076

"Dieses Geschäft äh, mit der äh, USA-Stelle äh. Ich glaube, wir müssen da, wir können da kaum etwas nachvollziehen, diese Finanzjongliererei um den ganzen Globus rum."

Sprecherin:

Das klang irgendwie kritisch. Trotzdem hat sich auch diese gequälte Ratsfrau dem Druck der Verwaltung und des unbekannten Investors gebeugt, wie sie bekannte:

O-Ton Beschwerdeausschuss (11), Kassette 1, B, 093-

"Natürlich ist das schon merkwürdig, dass da ein so grosser Geheimhaltungsdruck drauf gelegt wird. Wir haben uns dem gebeugt."

Autor:

Schon merkwürdig, wie schnell deutsche Ratsmitglieder sich beugen, nicht wahr?

Sprecherin:

Die gebeugte Ratsfrau schlug mit sorgenvollem Blick auf die staunende Bürgerin Fischer vor, die Verwaltung solle "in Zukunft" bei ähnlichen Verträgen die Bürger "doch ein bisschen besser" informieren. Schliesslich meldete noch die Ratsfrau der Grünen Verständnis für das Informationsbedürfnis der Bürger an und schloss:

O-Ton Beschwerdeausschuss (12), Kassette 1, B, 134

"In dem Sinne kann ich mich der Verwaltungsvorlage nicht ganz anschliessen."

Sprecherin:

"Nicht ganz". Kurz darauf waren die Bedenken weggewischt, verschwunden. Die Ausschussvorsitzende stellte die Verwaltungsvorlage zur Abstimmung, wonach der Bürgerantrag abzulehnen sei.

O-Ton Beschwerdeausschuss (13), Kassette 1, B, 211-216

"Zu diesem Verwaltungsvorschlag: Wer ist dafür? Den bitte ich auch ums Handzeichen? (Pause) Ist jemand dagegen? Ist einstimmig so beschlossen. Vielen Dank. Das wars. So." (Lachen, Geräusche)

Sprecherin:

Antrag abgelehnt. Einstimmig. So schlimm hatte die Antragsstellerin es sich doch nicht vorgestellt. Obwohl sie soetwas wohl geahnt hatte. Während die Ausschussvorsitzende schon routiniert und freundlich den nächsten Bürgerantrag aufrief, lächelte Bürgerin Fischer unsicher und etwas verloren. Konsterniert packte sie ihre Unterlagen zusammen.

* * * *

Autor:

Gehen wir weiter auf die Suche nach dem unbekannten Investor. Die treibende Kraft bei dem Vertrag war die Deutsche Bank. Also rief ich bei der Deutschen Bank in Frankfurt an. Dort sitzt bei der Bank-Tochter Deutsche Export Leasing GmbH das "Transaktorenteam", das für jeden dieser Leasingverträge gebildet wird. Da erklärten mir nun verschiedene "Transaktoren" – also die Mitarbeiter, die solche Leasing-Transaktionen durchführen –, warum sie mir kein Interview geben können. Ich wollte zunächst nur die Adresse des Investors und seiner Briefkastenfirma auf den Cayman Island erfahren. Das könne und dürfe man nicht sagen, sagten die Transaktoren. Dann bat ich, mir die Texte der amerikanischen Steuergesetze zu schicken, aufgrund derer dieser Steuervorteil möglich sei. Ergebnislos. Die Texte kamen nicht. Auch ein Interview könne man mir nicht geben. Wiederkehrendes Argument der Frankfurter Transaktoren:

Zitator:

Der Investor wünscht Stillschweigen.

Sprecherin:

Inzwischen hatte der Autor auf anderen Wegen einige Vertragsunterlagen erhalten. Die waren, wie man in Köln sagt, "vom Lastwagen gefallen". Daraus ging hervor, dass auf deutscher Seite neben der Deutschen Bank auch drei Landesbanken an dem Vertragswerk beteiligt sind. Sie bringen einen Teil des Milliardendarlehens auf: Baden-Württembergische Landesbank, Norddeutsche Landesbank, und zwar mit ihrer Tochterbank in Luxemburg sowie die Sächsische Landesbank. Der Autor rief bei allen diesen Banken an und erfuhr überall dasselbe wie bei der Deutschen Bank.

Zitator:

Wir haben Vertraulichkeit vereinbart. Der Investor wünscht Stillschweigen.

Sprecherin:

Aber da waren ja noch die Kölner Verkehrsbetriebe, KVB. Sie hatten schon 1996 insgesamt 101 Strassenbahnwagen im Wert von einer halben Milliarde Mark an einen "Investor" im amerikanischen Bundesstaat Delaware hin- und zurückgemietet. Dafür bekamen die KVB einen Barwertvorteil von 25 Millionen Mark. Arrangiert hatte diesen Leasingvertrag die Westdeutsche Landesbank.

Autor:

Ich rief wochenlang wiederholt bei den KVB und der WestLB an. Telefonierte mit Pressesprechern und Vorstandsmitgliedern. Stundenlang. Ergebnislos.

Zitator:

Wir haben Vertraulichkeit vereinbart. Der Investor wünscht Stillschweigen.

Autor:

Ich wandte mich an die First Union Bank in den USA. Sie wurde in den Zeitungsberichten als diejenige bezeichnet, die den Investor "bonitätsmässig absichert". Im Internet fand sich schnell die website der First Union Bank. Da lächelt werbend der US-amerikanische Aussenminister Colin Powell. Das Headquarter der First Union steht in Charlotte im Bundesstaat North Carolina. In Hamburg unterhält die Bank eine Repräsentanz. Ich schrieb nach North Carolina, und zwar zur Sicherheit gleichzeitig per e-mail, per Fax und per Post, und gleichzeitig an Edward Crutchfield, den Vorstandschef, an Virginia Mackin von der Presseabteilung und an Mike Taylor von der Leasing Abteilung. Und dasselbe nochmal an die Hamburger Repräsentanz:

Zitator:

"Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe von unserer Stadtverwaltung erfahren, dass Sie einen Leasing-Vertrag über Kläranlagen und Kanalnetz mit der Stadt Köln abgeschlossen haenb. Bitte teilen Sie mir folgendes mit: Wie heisst die Zwischengesellschaft, die auf den Cayman Islands ihren Sitz hat? Welche Sicherheiten haben Sie sich in dem Vertrag ausbedungen? Bitte teilen Sie uns mit, ob der Vertrag überhaupt abgeschlossen wurde. Mit freundlichen Grüssen vom Rhein"

Sprecherin:

Trotz verschiedener Telefonate und Nachfragen kam keine Antwort. Bis heute, ein Jahr später. Die First Union Bank in North Carolina schweigt.

* * * *

Autor:

Möglicherweise lag die Antwort viel näher. Vielleicht wäre der Kölner Stadtkämmerer doch zu einer Auskunft bereit? Er musste sich auskennen, war er doch eigens nach New York geflogen und hatte dort den Vertrag unterzeichnet. Meine Anfrage an die Kämmerei wurde wie folgt beschieden: Herr Böllinger sei zu einem Interview bereit, zu folgenden Bedingungen:

Zitator:

Die Fragen sind vorher schriftlich einzureichen. Weitere Fragen dürfen nicht gestellt werden. Konkrete Fragen zum Investor und zum Namen der Zwischengesellschaft auf den Cayman Islands sind unzulässig.

Autor:

Es war eine kuriose Begegnung. Der Kämmerer betonte, dass er lange gezögert habe, mir das Interview zu geben. Ich wollte den Grund sowohl für das Zögern wie auch für das schliessliche Einverständnis wissen. Böllinger blickte vielsagend und unbestimmt in seinem grossen, modernen Büro herum. "Ja, wissen Sie..." begann er und brach wieder ab. Dann zog er ein Manuskript heran, das als einziges Schriftstück auf seinem grossen, abgeräumten Schreibtisch lag. Er blickte mich an. "So, es kann losgehn," sagte er wie mechanisch. Ich sah, dass auf dem Manuskript meine Fragen standen und darunter seine Antworten. Er las sie ab wie ein Schuljunge. Schweissperlen standen auf seiner Stirn. Erst später sollte mir das Schwitzen des Kämmerers verständlich werden.

Sprecherin:

Zunächst also einige Antworten des Kölner Kämmerers. Später werden wir sie nocheinmal aufgreifen. Einmal geht es um die Behauptung, die Stadt behalte das Eigentum an ihren Klärwerken und Kanälen. Wie aber soll dann der US-Investor einen Steuervorteil erhalten, da er dafür ja auch Eigentümer sein muss? Der schwitzende Kämmerer las von seinem Manuskript folgendes ab:

O-Ton Böllinger (14): Kassette 1, A, 084-091

"Entscheidend ist, dass nach deutschem Steuerrecht zu keinem Zeitpunkt, auch nicht für eine logische Sekunde, Eigentum und Besitz übergegangen sind. Sondern wichtig war in diesem Zusammenhang, dass sich die Rechtsstellung der Stadt Köln im Inland nicht verändert hat."

Sprecherin:

Allerdings, dann der Nachsatz:

O-Ton Böllinger (14a): Kassette 1, A, 092-

"Nach US-Steuerrecht ist das wirtschaftliche Eigentum allerdings äh auf den US-Investor übergegangen."

Autor:
Ach so, allerdings dann doch auf den US-Investor übergegangen. Nach US-Steuerrecht. Es gibt also zwei Eigentümer der selben städtischen Anlagen. Nach deutschem Recht ist die Stadt Köln Eigentümer ihrer Klärwerke, zu 100 Prozent. Und nach US-amerikanischem Recht ist der US-Investor ebenfalls Eigentümer der selben Klärwerke. Und zwar gleichzeitig und ebenfalls zu 100 Prozent. Zwei jeweils hundertprozentige Eigentümer der selben Sache: Das ist in unserer auf Privateigentum aufgebauten Gesellschaft doch eigentlich unmöglich, nicht wahr?

Sprecherin:

Lassen wir diesen Widerspruch zunächst auf sich beruhen. Die zweite Frage an den Kämmerer war: Soll und kann diese doppelte Eigentümerschaft über die gesamte Laufzeit von 24 Jahren gelten? Der schwitzende Kämmerer antwortete:

O-Ton Böllinger (15), Kassette 1, A, 093-100

"Das gilt zunächst für die gesamte Laufzeit äh der Aktion äh, die in dem ersten Vertragswerk abgeschlossen worden ist, nämlich für 100 Jahre. Wir haben nur zunächst für 24 Jahre zurückgemietet. Und wir müssen uns dann, nicht mehr ich, sondern ein Nachfolger von mir, in 24 Jahren entscheiden, ob dieser Mietvertrag verlängert wird oder ob man eine vorzeitige Beendigung vornimmt, die das Vertragswerk offenlässt, was aber heute nicht zu entscheiden ist."

Autor:

Das war aber eine überraschende Aussage: die Laufzeit der Vermietung an den US-Investor beträgt 100 Jahre. Also nicht 24 Jahre, wie die Stadtverwaltung mitgeteilt hatte und wie es in den Zeitungen stand.

Sprecherin:

Und erst nach 24 Jahren darf die Stadt entscheiden, ob sie die Rückmietung verlängert. Es darf also heute noch gar nicht entschieden werden, ob der Vertrag nach 24 Jahren beendet wird. Dagegen hatte die Stadtverwaltung mitgeteilt und so hatte es in den Zeitungen gestanden, dass die Beedingung nach 24 Jahren bereits jetzt entschieden sei. Lassen wir auch das zunächst auf sich beruhen. Schliesslich die Frage: Warum die Briefkastenfirma in Georgetown auf den Cayman Islands als unmittelbarer Vertragspartner der Stadt?

O-Ton Böllinger (16): Kassette 1, A, 192-197

"Diese Konstruktion ist vom Investor bewusst so gewählt worden. Für uns bietet sie nur Vorteile, weil die letztlich vorhandenen Risiken durch diese zwischengeschaltete Gesellschaft äh weitestgehend so äh minimiert worden sind, dass das Risiko für uns beherrschbar ist."

Sprecherin:
Da bestätigte der Kämmerer, wenn auch schwitzend und nervös auf seinem Ledersessel rutschend: Die "Zwischengesellschaft" auf den Cayman Islands gibt es. Sie soll Risiken auffangen, die in den USA bestehen. Risiken in den USA hatte die Stadtverwaltung bisher gegenüber der Öffentlichkeit immer bestritten. Freilich sagte der Kämmerer nicht, um welche Risiken es sich handelte.

* * * *

Autor:

Nehmen wir uns die Aussagen des schwitzenden Kämmerers nocheinmal vor. Wir haben es also mit einer Vertragslaufzeit von 100 Jahren zu tun. Solange vermietet die Stadt Köln ihre Abwasseranlagen für 1,3 Millarden Deutsche Mark an den US-Investor und mietet sie wieder zurück. Andererseits, so wurde der Eindruck in der Öffentlichkeit erweckt, ist für die Stadt die Angelegenheit praktisch am ersten Tag beendet. An diesem Tag überweist der Investor die 1,3 Milliarden Mietgebühren in einem einmaligen Gesamtbetrag an die Stadt, und die Stadt überweist die 1,3 Milliarden für die Rückmiete sofort wieder zurück, abzüglich ihres Barwertvorteils von 54 Millionen. Also eine Laufzeit von 100 Jahren, einerseits, und die Abwicklung an einem einzigen, am ersten Tag, anderseits. Diesen Widerspruch wollen wir jetzt auflösen. Und die weiteren Widersprüche, die damit zusammenhängen.

Sprecherin:

Rechtsanwalt Jürgen Schacht ist Spezialist für kommunale Gebühren. Er wurde von verschiedenen Städten beauftragt, die Müll- und Abwassergebühren zu überprüfen. Nämlich wenn diese Städte Leasing-Verträge mit US-Investoren abgeschlossen haben. Wie wirkt sich der sogenannte Barwertvorteil auf die Gebühren aus? Muss er den Gebührenzahlern zugutekommen oder kann die Kommune den Barwertvorteil in ihren allgemeinen Haushalt nehmen? Und somit Kindergärten bezahlen oder die Gehaltserhöhung des Oberbürgermeisters? Rechtsanwalt Schacht hat sich einige Leasing-Verträge genau angesehen. Was sagt er zu dem Widerspruch, dass die Laufzeit 100 Jahre beträgt, während gleichzeitig die Stadt nur einen Tag lang damit befasst sein soll?

O-Ton Schacht (17), Kassette 2, A, 045-049

"Das hat einen ganz einfachen Sinn. Aus der Sicht der Kommune wird diese ganze Leasing-Konstruktion, die ich für sehr merkwürdig und bedenklich halte, auf eine, wenn Sie so wollen, logische Sekunde reduziert, auf die Einmalzahlung des Barwertvorteils."

Autor:

Damit werden Kommune und Öffentlichkeit gelockt. Eine logische Sekunde Arbeit, eine Unterschrift auf ein Überweisungsformular, und 54 Millionen Barwertvorteil. Prima Sache. Clever. Machen wir mit. Ja, aber warum dann gleichzeitig die Laufzeit von 100 Jahren?

O-Ton Schacht (18), Kassette 2, A, 061-

"Das muss man deshalb machen, damit man nach aussen den Eindruck erweckt, als ob wirklich das, was im Leasinggeschäft üblich ist, dass man ein Wirtschaftsgut nutzt über eine längere Zeit, ... dass man eben diese Konstruktion nach aussen vermittelbar macht, auch für die Finanzbehörden, die Steuerbehörden."

Autor:

Also langsam, nochmal: Während der deutschen Öffentlichkeit suggeriert wird, dass die ganze Angelegenheit nur einen Tag dauert und sich am Eigentum gar nichts ändert, wird dem amerikanischen Staat etwas ganz anderes suggeriert: Der Vertrag läuft 100 Jahre. Durch diese Laufzeit eines ganzen Jahrhunderts wird suggeriert: Die Kölner Klärwerke und Kanäle sind ganz in das Eigentum des US-Investors übergegangen.

Sprecherin:

So kann der sogenannte Investor seinem amerikanischen Finanzamt gegenüber als Eigentümer auftreten, obwohl es ja über dem Teich, weit weg in old Europe am Rhein, auch schon einen Eigentümer gibt. Und so kann der neue angebliche Eigentümer seine angebliche Investition abschreiben oder eine Steuerstundung in jährlicher Millionenhöhe erhalten. Und das, obwohl er keinen einzigen Dollar und keine einzige Mark in die Anlagen investiert, denn die sind ja schon vollständig fertig und funktionstüchtig.

Autor:

Vielleicht klärt sich etwas, wenn wir uns den Investor genauer ansehen. Da war doch einmal, etwas versteckt, sein Name genannt worden: First Fidelity Bank. Also das Unternehmen, das von der First Union Gruppe, der sechstgrössten Bank der USA, "bonitätsmässig abgesichert" sein soll, wie die Stadtverwaltung mitgeteilt hatte und wie es in den bekanntlich sehr unabhängigen Kölner Zeitungen stand.

Sprecherin:

Wir geben im Internet folgendes ein: www.firstfidelitybank.com. Brav erscheint nach zwei Sekunden die website der First Fidelity Bank. Sie ist eine kleine Bank in Oklahoma City. Wir sehen die Fotos von sieben gemütlichen alten Herren. Sie sind der Vorstand. Auf einer weiteren Seite sehen wir das Foto einer kleinen ebenerdigen Filiale, die von der First Fidelity Bank soeben im Städtchen Noble bei Oklahoma eröffnet wurde. Die Filiale sieht aus wie eine Mischung aus Gartenhaus und Tankstelle. Auf der Seite "Wir über uns" preist sich die Bank patriotisch an:

Zitator:

"Jedermann bei First Fidelity ist erfüllt von den Interessen Oklahomas. Vom Chef bis zum einfachen Angestellten am Bankschalter: Wir leben in Oklahoma, wir arbeiten in Oklahoma, wir erziehen unsere Kinder in Oklahoma!"

Autor:

Klingt ein bisschen pathetisch, aber durchaus sympathisch, nicht wahr? Sage noch einer, die heutige Finanzwelt sei anonym und seelenlos. Auf der Seite mit der Bilanz zum Dezember 2000 erfahren wir etwas über die finanziellen Verhältnisse dieser sympathischen kleinen Bank tief in der amerikanischen Provinz, wo das Leben noch in Ordnung ist, angeblich.

Zitator:

Summe der Aktiva einschliesslich aller vergebenen Darlehen: 515 Millionen Dollar.

Sprecherin:

Wir rechnen: 515 Millionen Dollar sind etwa 1,2 Milliarden Deutsche Mark. Das heisst: Das gesamte Vermögen der First Fidelity Bank ist geringer als das Volumen des Leasingvertrags mit der Stadt Köln. Mit anderen Worten: Selbst wenn der angebliche Investor First Fidelity Bank sein gesamtes Vermögen eingesetzt hätte, hätte dies nicht ausgereicht, um die 1,3 Milliarden Mark für den Leasingvertrag mit der Stadt Köln aufzubringen. Rechtsanwalt Schacht hat eine Erklärung für diese Konstruktionen:

O-Ton Schacht (19) Kassette 2, A, 029-034

"Um einen richtigen Investor handelt es sich nicht, weil man unter einem Investor jemanden versteht, der Geld mitbringt und unternehmerisches Risiko trägt. So ist es hier nicht. Das Geld kommt ausschliesslich von deutschen Banken. Der US-Investor ist meistens eine Briefkastenfirma, ein Trust, hat oft gar keine eigenen Telefonanschlüsse, sondern eine Faxanschrift, und agiert aber wie eine normale juristische Person."

Autor:

Wir wollen der First Fidelity Bank in Oklahoma nicht die Telefonanschlüsse und eine funktionierende Geschäftsstelle absprechen, haben wir sie doch selbst zur Aufklärung des Publikums erfolgreich benutzt. Wir können jedoch festhalten: Den Investor in dem Sinne, wie er der Öffentlichkeit gegenüber behauptet wird, gibt es gar nicht. Das Geld kommt vor allem von deutschen Banken.

O-Ton Schacht (20), Kassette 2, A, 050-055

"Die Banken aber wickeln im Hintergrund sozusagen die Sache so ab, und zwar über diesen langen Zeitraum, als würde tatsächlich die Leasing-Rate gezahlt. Die Banken organisieren also den Zahlungsverkehr für die Optik so, als würde Jahr für Jahr oder Monat für Monat die Leasingrate gezahlt, über diesen langen Zeitraum. Da es um hohe Summen geht, muss auch ne lange Zeit her."

Sprecherin:

Der Investor ist eine von den deutschen Banken in den USA gegründete Briefkastenfirma, mit einem Ableger auf den Cayman Islands. Sie bekommt von der Deutschen Bank, der Baden-Württembergischen Landesbank, der Norddeutschen Landesbank Luxemburg und der Sächsischen Landesbank einen Kredit über 1,3 Milliarden Deutsche Mark. Gleichzeitig übernehmen diese Banken die Zahlung der monatlichen Leasingraten.

Autor:

Die Banken spielen also eine Art Theater: Das Stück heisst "Wir mieten und vermieten kommunale Anlagen in Europa". Die Banken schicken bei jeder Aufführung eine Strohpuppe auf die Bühne, die heisst "Investor". Die Puppe wird mit Krediten eingekleidet. Ein Vertreter der Puppe, ein amerikanischer Angestellter der Bank, setzt sich in New York mit dem Kämmerer der deutschen Stadt hin und unterschreibt einen Vertrag. Die Banken überweisen an ihre Puppe monatliche Leasingraten für die Anmietung, die Puppe überweist diese Beträge im selben Rythmus für die Rückmietung zurück. 100 Jahre lang, oder mindestens 24 Jahre lang. So fingieren die deutschen Banken gegenüber dem amerikanischen Finanzamt einen Leasingvertrag und den Übergang des Eigentums an den US-Investor.

O-Ton Böllinger (21) wie (1)

"Es ging alles mit rechten Dingen zu. Es sind legale amerikanische Gesetze, an die wir uns auch streng gehalten haben."

* * * *

Autor:

Finanztheater, Schmierenkomödie, wie man will. Dazu gehören ein paar weitere dirty tricks. Sie spielen sich natürlich auf hohem Niveau ab. Nicht umsonst sind die Verträge viele hundert Seiten dick und werden den Anwaltskanzleien mit Millionen Dollar vergütet.

Sprecherin:

Zu diesen Tricks gehört die Manipulation mit dem Grundbuch. Das amerikanische Finanzamt verlangt vom "Investor", dass das Eigentum am Kölner oder Wittenberger Klärwerk oder an den gemütlichen Züricher Strassenbahnwagen durch sogenannte dingliche Sicherheiten nachgewiesen wird. Sie werden in den Leasingverträgen vereinbart. Sie müssten ins Grundbuch eingetragen werden. Aber gerade die Grundbucheintragung muss ja gleichzeitig bei diesen Verträgen vermieden werden. Denn in Köln und Wittenberg und Zürich muss es ja so aussehen, als wäre das Grundbuch sauber.

O-Ton Schacht (22), Kasette 2, A, 195-

"Die dinglichen Sicherheiten würden ja bedeuten - Sie kennen das ja alles aus dem Bereich der Hypotheken- und Grundschulden, wenn Sie ein Häuslebauer sind selber -, die würden ja das Grundbuch unsauber machen. Und jeder, der ins Grundbuch gucken würde, könnte das sehen."

Sprecherin:

Wenn die dinglichen Sicherheiten ins Kölner Grundbuch eingetragen würden, könnte die Bürgerin Karin Fischer sehen, dass die Verfügung der Stadt über ihre Klärwerke und Kanäle tatsächlich stark eingeschränkt ist.

O-Ton Schacht (23), Kassette 2, A, 200-

"Und um das zu umgehen, werden regelmässig Grundschuld-Bestellungserklärungen abgegeben, unwiderruflich. Die werden in einen Tresor eines Treuhänders gelegt. Sie tauchen im Moment im Grundbuch nicht auf, sind aus der Sicht der Steuerbehörden oder jedenfalls wird das den Steuerbehörden in den USA so vorerzählt."

Sprecherin:

Werden in den Tresor eines Treuhänders gelegt. Im Konfliktfall aber tauchen die bisher unsichtbaren Verpflichtungen der Stadt plötzlich aus den Tiefen des Leasingvertrages und des Treuhändertresors auf:

O-Ton Schacht (24), Kassette 2, A, 213-

"Hier werden nur die Erklärungen im Vorfeld abgegeben, unwiderruflich natürlich, sodass dann jederzeit, wenn der Bedarfsfall da ist, die dingliche Sicherheit ins Grundbuch kommt, und jetzt schon die Erklärungen da sind, aber derjenige, der ins Grundbuch blickt, nichts erkennen kann, was schon im Anflug auf dieses Grundbuch in der Luft schwebt."

Sprecherin:

Da wird das Schwitzen des Kölner Stadtkämmerers beim Ablesen seiner vorgefertigten Antworten verständlich. Er durfte sich nicht verplappern. Er durfte nicht behaupten, dass die Stadt jetzt schon beschlossen hatte, den Leasingvertrag sowieso nur 24 Jahre laufen zu lassen. Er durfte nicht öffentlich bestätigen, dass dingliche Sicherheiten vereinbart wurden. Er durfte aber auch nicht behaupten, dass sie nicht vereinbart wurden.

Autor:

Er durfte die Fiktion der wundersamen Verdoppelung des Eigentümers nicht zerstören. Das hätte böse Folgen auch für ihn selbst gehabt. Ich erinnerte mich pötzlich an die stundenlangen Telefonate, die ich mit der Deutschen Bank und dem Transaktor Rolf Unkel, Projektleiter für die Kölner Verträge, geführt hatte. Er hatte damals etwas gesagt, was sich mir erst jetzt in seiner ganzen Bedeutung erschloss:

Zitator:

"Wenn in den USA eine Böllinger – Aussage bekannt wird, dass es keinen echten Geschehnisablauf gibt, dann ist der dran. Dann ist die Transaktion kaputt. Dann muss er Schadenersatz zahlen. Der ist um ein Mehrfaches höher als der Barwertvorteil von 54 Millionen."

Autor:

"Kein echter Geschehnisablauf". Das hatte ich damals nicht verstanden. Jetzt wurde mir klar: Es geht um die 100 Jahre Vertragslaufzeit und um den dinglich garantierten Übergang des Eigentums an den "Investor". Und darum, ob es diesen Investor tatsächlich gibt. Wenn deutlich wird, dass dies alles Fiktion ist, bricht das Geschäft zusammen.

Sprecherin:

So leicht beherrschbar, wie der Kämmerer behauptet, sind deshalb die ungenannten Risiken keineswegs. Zum Vertragswerk gehören umfangreiche technische Gutachten, in denen der Zustand jedes Abwasserbeckens, jedes Reinigungsfilters und jedes Kanalabschnitts genau festgehalten sind. Zur Fiktion des wirtschaftlichen Eigentums des "Investors" gegenüber dem amerikanischen Finanzamt gehört die Aufrechterhaltung der vollen Funktionsfähigkeit der Anlagen. Rechtsanwalt Schacht kennt einige Bestimmungen, nach denen der "Investor" die Verträge kündigen und von der Stadt Schadenersatz fordern kann.

O-Ton Schacht (25) Kassette 2, A, 148-

"Die amerikanischen Juristen haben sehr präzise beschrieben, umfangreich auf vielen Seiten in diesen Leasingverträgen, was zum Scheitern führen kann. Ein einfaches Beispiel: Ein Kanal ist undicht und wird im Altlastenkataster geführt, das ist ja insbesondere in Nordrhein-Westfalen häufig, dass undichte Kanäle im Altlastenkataster auftauchen. Und dieses wird dem US-Partner nicht mitgeteilt. Dann reicht das schon aus, um diese Verträge zu zerstören."

Sprecherin:

Oder wenn eine hin- und zurückgemietete Müllverbrennungsanlage für zwei Monate ausfällt. Oder wenn eine hin- und zurückgemietete Messehalle für drei Monate leersteht. Oder wenn kaputte Strassenbahnwagen unrepariert im Depot stehen. Dann muss laut Vertrag nicht nur der Barwertvorteil zurückgezahlt werden. Vor allem wäre dann Schadenersatz fällig. Die Verträge erlauben es dem "Investor", vergleichsweise kleine Verstösse zum Anlass zu nehmen, die deutsche Stadt abzukassieren.

O-Ton Schacht (26), Kassette 2, A, 160-

"Wird der ganze Vertrag zerstört, und darin könnte sogar der Reiz eines solchen Trusts liegen, muss die Stadt, die diesen Vertrag abgeschlossen hat, den Vertrag im Grunde erfüllen und noch einen drauf Geld zahlen, sodass man dann erst richtig Kasse machen würde auf Seiten des US-Investors."

Sprecherin:

O-Ton Böllinger (29) wie (1)

"Es ging alles mit rechten Dingen zu. Es sind legale amerikanische Gesetze, an die wir uns auch streng gehalten haben."

* * * *

Sprecherin:

Die Zugriffsmöglichkeit des "Investors" auf das Vermögen der Stadt wird dadurch verstärkt, dass die Verträge amerikanischem Recht unterliegen. Der Gerichtsstand ist nicht Köln oder Wittenberg oder Zürich, sondern New York. Nach amerikanischem Recht können Anwälte vor amerikanischen Gerichten bekanntlich enorme Schadenersatzsummen herausholen. Da wird dann eine Aussage des Kölner Kämmerers deutlich: Er hatte freudestrahlend behauptet, dass sich die Rechtsstellung der Stadt Köln "im Inland" nicht geändert habe. Im Inland. Nach deutschem Recht gehören die Kläranlagen weiter der Stadt Köln. Das ist aber im Konfliktfall bedeutungslos. Denn dann gilt das Recht der USA.

Autor:

Die treibende Kraft hinter diesen profitablen Fiktionen sind deutsche und europäische Banken. Sie haben sich in den letzten Jahren im US-amerikanischen Finanzmarkt eingekauft. Sie wollen nun auch die Möglichkeiten des Standorts USA ausschöpfen. Sie beteiligen amerikanische Banken wie die First Union Bank an den Verträgen. Schweizer Banken organisieren Leasingverträge für Schweizer Städte. Niederländische Banken organisieren Leasingverträge mit niederländischen Städten. Deutsche Banken organisieren Leasingverträge mit deutschen Städten. Undsoweiter. So sparen sie über ihre amerikanischen Töchter kräftig Steuern. Hinter dem angeblichen US-Investor grinsen uns die Banken unseres eigenen Landes an.

Sprecherin:

Mithilfe der fiktiven Investitionen wird auch das Wirtschaftsvolumen aufgebläht.

O-Ton Schacht (30), Kassette 2, A, 330-

"Weil in dem Moment, wo wenig Renditen da sind, muss man überlegen: in welchen Wirtschaftsbereichen kann man richtig zufassen? Da ist dies ein ganz herrlicher Bereich, in dem man richtig zufassen kann. Vor diesem Hintergrund ist es besonders reizvoll, nun ein solches Modell zu benutzen, um Volumen in der Wirtschaft so aufzublasen."

Sprecherin:

Die in den USA erwirtschafteten Zinsen und Steuervorteile übertreffen bei weitem den Barwertvorteil für die Stadt Köln. Die 54 Millionen sind pea nuts, sind Brosamen vom Tisch eines Milliardenspiels. Zusätzlich tritt ein weiterer Effekt ein: Das Finanzvolumen der Banken wird zusätzlich ausgeweitet.

O-Ton Schacht (31) Kassette 2, A, 436-

"Das ist, wenn Sie so wollen, eine Art Eigenkapitalersatz, mit dem man wieder zusätzliches Geld ausleihen kann. Und so hat das so eine Art Schneeballsystem im Effekt."

Autor:

Die Banken halten damit den Staat im Würgegriff und saugen ihn aus. Denn der Staat bietet eine Sicherheit, die im Dschungel der internationalen Finanztricksereien sonst niemand bieten kann.

O-Ton Schacht (32), Kassette 2, A, 443-

"Die Banken haben natürlich durch diese Verdinglichung ein hohes Sicherheitspotential, was im ganzen sogenannten Rating, so ist ja heute der Begriff, hoch bewertet wird, ein wenn Sie so wollen todsicheres Geschäft. Die Kommune kann nach deutschem Recht nicht pleite gehen. Das Klärwerk kann keiner klauen, die Strassen in den seltensten Fällen auch."

Sprecherin:

Es wird also nicht nur der amerikanische Steuerzahler zur Kasse gebeten, sondern auch der deutsche. Die Banken erhöhen ihr Eigenkapital und ihr Kreditvolumen. Sie senken drastisch ihre Steuern. Sie verdienen an den Krediten. Und der amerikanische und der deutsche Staat können mit einer Erhöhung der Auslandsinvestitionen glänzen. Das Bruttosozialprodukt wächst und wächst.

Autor:

Wenn auch nur fiktiv. Diese Fiktion hängt an seidenen Fäden, wie an der logisch unmöglichen Verdoppelung des Eigentümers. Aber auch am seidenen Faden des öffentlichen Schweigens. An der Komplizenschaft der Medien. Ich wollte wissen, was in den USA über die hundertfachen Leasingdeals mit europäischen Grosstädten bekannt ist. Ich bat die amerikanische Botschaft in Berlin um Mithilfe. Sie fand nichts. Ich fragte das Amerikahaus Köln. Die freundlichen Mitarbeiter der Rechercheabteilung konnten sich nicht erklären, warum ich nichts gefunden haben sollte. Sie durchsuchten im Internet alle amerikanischen Tageszeitungen. Nach einer Woche das Ergebnis:

Zitator:

"Wir haben in keiner einzigen amerikanischen Zeitung einen Artikel über ein Leasinggeschäft mit einer deutschen Stadt gefunden."

* * * *

Autor:

So funktioniert die sogenannte Informationsgesellschaft: Der Investor schweigt. Die Medien schweigen auch. Ihr Schweigen ist die Bedingung des heimlichen, des unrechtmässigen Gewinns. Des heimlichen Gewinns? Gut, das ist klar. Aber auch des unrechtmässigen Gewinns? Auch das ist klar. Das sagt die oberste Steuerbehörde der USA.

Sprecherin:

Diese Behörde ist der Internal Revenue Service in Washington, abgekürzt IRS. Gegenüber Steuerflüchtlingen und Steuerhinterziehern gilt der IRS als unerbittlich. Am 11. März 1999 gab der IRS eine Verfügung heraus, Revenue Ruling 99/14. Sie wurde im Amtsblatt der Regierung veröffentlicht. Darin wird auf die immer weiter um sich greifenden Leasing-Verträge mit ausländischen Städten eingegangen. Solchen Verträgen wird nach US-amerikanischem Recht die steuerliche Anerkennung versagt. Wörtlich heisst es: Erstens:

Zitator:

"Die Verpflichtung des Investors, sein Darlehen zurückzuzahlen, wird vollständig durch die Zahlungen der Kommune ausgeglichen. Der Investor geht wegen der Vereinbarungen mit der Bank keinerlei Risiko ein. Auch die Bank geht keinerlei Risiko ein. Wegen des zirkulären Charakters der Zahlungen entsteht keinerlei wirtschaftlicher Effekt. Das einzige Ziel ist die Erreichung von Steuervorteilen."

Sprecherin:

Zweitens:

Zitator:

"Diese Leasingverträge haben keine wirtschaftliche Substanz. Deshalb können sie nicht zu den erhofften Steuervorteilen führen."

Autor:

Ich wollte erfahren, ob diese Verfügung von 1999 auch im Jahre 2001 noch gilt. Oder ob die neue Regierung von George Dabbeljuh Bush etwas geändert habe. Nach langwierigen Anfragen bei der US-Botschaft in Berlin und bei der Regierung in Washington wurde der Verfasser der Verfügung von 1999 ermittelt. Er heisst John Aramburu, Abteilungsleiter im IRS. Ich telefonierte verschiedentlich mit ihm. Er war nach einigem Drängen zu einem telefonischen Interview bereit. Wir vereinbarten einen Termin. John wies darauf hin, dass die Presseabteilung des IRS eingeschaltet werden müsse. Zum vereinbarten Termin rief ich die Presseabteilung in Washington an.

O-Ton IRS (33), Kassette 3, B, 061-074

Telephon-Klingeln

(Frauenstimme) Media Relation

(Autor) Hello, here is Werner Rügemer from Germany, Westdeutscher Rundfunk, radio station in Germany. I would like to speak to Mister John Aramburu.

(Pause) Okay (langsam)

You are calling from the media? (Pause) And you would like to speak to John Aramburu?

Yes

It is okay.

What in reference would you like to speak with Johan Arumburu?

Autor:

Ich hatte den Eindruck, als würde die Pressesprecherin mich wie ein rohes Ei oder einen exotischen Vogel behandeln, der aus einer anderen Welt angeflogen kommt. Ich wiederholte dreimal, dass ich mit John Aramburu für eben diesen Tag und für diese Uhrzeit ein Interview über die Verfügung 99/14 zu den Leasingverträgen vereinbart hätte.

O-Ton IRS (34), Kassette 3, B, 074-

I talked with him yesterday already. It is concerning International Revenue Service Ruling 99-14 of march 99. Concerning lease-in/lease-out deals.

Okay.

Autor:

Ich musste der Pressesprecherin meinen Namen buchstabieren, ebenfalls den Namen des Rundfunksenders in Germany. Dann verriet sie mir auf mehrmalige Nachfrage auch ihren Namen. Dann bat mich Tamara Ward, doch kurz zu warten. Sie müsse sich mit der Leitung des Hauses abstimmen. Ich wartete ungefähr fünf Minuten. Dann war Tamara wieder da.

O-Ton IRS (35), Kassette 3, B, 177-186

Thanks for holding. Can I have your name once again?

Werner Rügemer

Could you spell it please?

Naturally.. (mit Nachdruck ironisch)

(Sie lacht)

dubbelju-e-ar-n-e-ar

Oh I am a slow writer. Dubbelju-e-ar usw.

(Wir buchstabieren es abwechselnd)

Autor:

Natürlich musste ich auch noch mal sagen, wie der Sender heisst:

O-Ton IRS (36), Kassette 3, B, 187-

And the name of your radio station?

W-D-R. Dabbeljuh-Di-Ar

Okay. Hold the line please

Yes, naturally

Autor:

Dann musste ich wieder etwa fünf Minuten warten. Diesmal gab es nicht mal klassische oder Western-Music aus dem Telefonsystem. Dann war Tamara wieder da, mit John Aramburu. Sie betonte, dass er mich über die Verfügung informieren werde, aber ohne persönlich dafür die Verantwortung zu übernehmen.

O-Ton IRS (37), Kassette 3, B, 207-215

I wanted to make sure something quite clear in speaking to Mister Aramburu, he would like to provide you information on revenue ruling 99-14 on a background. With no attribution to him.

Yes

Okay?

Ja, okay

(ab hier Aramburu):

Werner, do you have any specific question?

Yes.

Autor:

Die Leiterin der Presseabteilung blieb in der Leitung und hörte mit. John war weniger gesprächig als bei unseren Telefonaten zuvor. Ich fragte ihn also, ob die Verfügung vom März 1999 immer noch gelte.

O-Ton IRS (38), Kassette 3, 232-247

Yes. The ruling states our position as to what the law is. .. Those tax benefits have been disallowed, denied.

Zitator:
"Ja. Die Verfügung gibt unsere Auffassung über das geltende Recht wieder. Solche steuerlichen Vorteile wurden als unzulässig erklärt, wurden verneint."

Autor:

John bestätigte, dass der IRS die Entwicklung genau beobachet, wonach trotzdem immer weiter solche Leasingverträge abgeschlossen werden. Ich fragte ihn, ob die Einbeziehung einer "Zwischengesellschaft" auf den Cayman Islands oder in einer anderen Finanzoase ein Grund sei, um die Steuerminderung nicht anzuerkennen.

O-Ton IRS (39), Kassette 3, B, 286-

"Probably one of the reasons, not the only reason. The basic ratio out for the ruling is that from the US tax payers perspective. These transactions really not have any economic consequences. They are entered only for tax purposes. Under our tax laws if you enter into a deal only for tax purposes we disregard the deal."

Zitator:

"Wahrscheinlich einer der Gründe, nicht der einzige. Unsere Verfügung geht von der Perspektive der US-Steuerzahler aus. Solche Transaktionen haben keinerlei wirtschaftliche Folgen. Sie werden einzig aus steuerlichen Gründen durchgeführt. Wenn man einen solchen Deal eingeht, erkennen wir ihn nach unserem Steuerrecht nicht an."

Autor:

Eines konnte mir der unter Tamaras Aufsicht antwortende John nicht erklären: Warum trotz dieser eindeutigen Rechtslage soviele dieser Verträge abgeschlossen werden? Und die Steuervorteile durch den amerikanischen Fiskus offensichtlich trotzdem gewährt werden? John hielt sich mit einer Antwort zurück. Vielleicht wusste er es selbst nicht. Ich wollte darüber ein Interview mit dem Finanzminister oder einem Staatssekretär führen. Das lehnte die strenge Tamara jedoch unmissverständlich ab. "That’s impossible."

O-Ton Böllinger (40) wie (1)

"Es ging alles mit rechten Dingen zu. Es sind legale amerikanische Gesetze, an die wir uns auch streng gehalten haben."

* * * *

Autor:

Kommen wir auf die letzte Aussage des Kölner Kämmerers zurück: Der "Investor" habe gewünscht, eine "Special Purpose Company", eine "Zwischengesellschaft", auf den Cayman Islands einzurichten. Zur Absicherung von Risiken. Welcher Risiken?

Sprecherin:

"Special Purpose Company", in der Branche abgekürzt SPC, heisst "Gesellschaft für besondere Zwecke". Die besonderen Zwecke können alle Zwecke sein. Wie man sie gerade braucht. Eine SPC wird auch als "Zwischengesellschaft" bezeichnet. Solche "Zwischengesellschaften" hat jeder US-Investor, der mit europäischen Städten über Leasingverträge verhandelt, im Gepäck. Der Investor, sprich also die Deutsche Bank, die Baden-Württembergische Landesbank, die Norddeutsche Landesbank Luxemburg, die Sächsische Landesbank undsoweiter, gründet solche leeren Briefkästen auf Vorrat in einer Finanzoase. Zum Beispiel auf den Cayman Islands.

Autor:

Die Cayman Islands mit ihren 31.000 Einwohnern und 700 Banken sind der sechstgrösste Finanzplatz der Erde. Die US-Regierung garantiert die Steuerfluchtmöglichkeit für US-amerikanische Unternehmen und Banken über die Cayman Islands.

Sprecherin:

Die Cayman Islands haben mit keinem einzigen Staat eines der sonst üblichen Steuer- und Rechtshilfeabkommen. Das Bankgeheimnis ist hier dichter als in Zürich und Luxemburg. Auf Gewinne braucht hier niemand auch nur ein einziges Prozent Steuern zu zahlen.

Autor:

Und wenn man hier eine "Zwischengesellschaft" für beliebige Zwecke einrichtet, etwa für den Investor First Fidelity Bank in Oklahoma beziehungsweise für die Deutsche Bank in Frankfurt und deren Tochterfirma Deutsche Export-Leasing GmbH, dann kann man sicher sein, jedenfalls nach gegenwärtigen irdischen Masstäben: eine Rechtsänderung etwa zur Besteuerung von Gewinnen wird es auf den Cayman Islands nicht geben. Die Cayman Islands garantieren auch die Steuerabschreibung für Leasingverträge, falls in den USA eine Rechtsänderung oder eine Änderung der Steuerpraxis eintritt. Das ist eines der Risiken, die laut Kämmerer Böllinger durch die Zwischengesellschaft gemindert werden.

Sprecherin:

Der Standort Cayman Islands ist auch in einer weiteren Hinsicht günstig. Vor kurzem fand in Washington eine öffentliche Anhörung statt. Sie wurde organisiert von der Senatskommission "Bekämpfung der Geldwäsche". Hauptzeuge war der US-Bürger John Matthewson. Er hat bis vor kurzem auf den Cayman Islands eine Bank geleitet. Er schilderte, wie scharenweise gutverdienende amerikanische Zahnärzte und Geschäftsleute mit Geldkoffern bei ihm ankamen und ein Konto einrichteten. Es war fast immer unversteuertes Schwarzgeld. Wenn es auf das Konto der Cayman-Bank eingezahlt war, war es schon gewaschen. Die Kunden konnten es nämlich einschliesslich der Gewinne anschliessend mit ihrer Scheckkarte bei jeder beliebigen Bank in New York abheben. War das Konto einmal eingerichtet, schickten die Kunden aus den USA ihre Schecks zu ihrer Bank auf den Cayman Islands. Von dort wurden die Schecks zur Geldanlage an eine US-Bank geschickt, zum Beispiel an die First Union Bank in New York.

O-Ton Matthewson (41), Kassette 4, A, 360-365

"We received a number of checks every day. After we processed them and credited the individual client account. We badged them, sent them by courrier to whoever a correspondant bank was at the time; wether it would be the Bank of New York, First Union or any of the others."

Zitator:

"Wir erhielten jeden Tag eine Menge Schecks. Wir bearbeiteten sie und schrieben sie dem Konto des jeweiligen Kunden gut. Wir stempelten sie und schickten sie durch Kurier an die entsprechende Korrespondenzbank, ob das nun die Bank of New York, die First Union oder eine der anderen Banken war."

O-Ton Böllinger (42) wie (1)

"Es ging alles mit rechten Dingen zu. Es sind legale amerikanische Gesetze, an die wir uns auch streng gehalten haben."

* * * *

Sprecherin:

Köln ist kein Einzelfall. Hier eine kurze Auswahl europäischer Städte, die ihre Anlagen solchen Leasingverträgen unterworfen haben:

Zitator:

Dresden: Strassenbahnwagen und Kläranlage, 480 Millionen Dollar

Zürich: Strassenbahnen, 120 Millionen Dollar

Düsseldorf: Abwasseranlagen, eine Milliarde Dollar

Essen: Messehallen, 300 Millionen Dollar

Lutherstadt Wittenberg: Kläranlage, 200 Millionen Dollar

Wuppertal: Müllverbrennungsanlage, 300 Millionen Dollar

Hausmüllzentrale Nordholland: Müllverbrennungsanlage, 260 Millionen Dollar

Sprecherin:
Undsoweiter undsofort.

Autor:

Ich habe alle bisher vorhandenen Aufsichtsorgane unseres Staates nach der Zulässigkeit solcher Verträge befragt. Hier die Antworten. Zunächst der Regierungspräsident von Köln als Kommunalaufsicht:

Zitator:

"Die Gemeindeordnung verbietet es den Kommunen keineswegs, Verträge abzuschliessen, die Risiken beinhalten."

Sprecherin:

Dann das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen:

Zitator:

"Auf solche Leasingverträge sind wir im Rahmen unserer Bankenaufsicht bisher nicht gestossen. Im übrigen sind Banken berechtigt, Gesetzeslücken auszunutzen."

Sprecherin:

Dann die Europäische Kommission in Brüssel:

Zitator:

"Eine Befragung aller Kommissare hat ergeben, dass keine europäische Zuständigkeit besteht. Wenden Sie sich an den deutschen Finanzminister."

Sprecherin:

Also dann noch der Bundesfinanzminister in Berlin:

Zitator:

"Wir kennen solche Leasingverträge nicht. Darüberhinaus sind wir für Verluste des amerikanischen Steuerzahlers nicht zuständig. Wenden Sie sich an die Steuerbehörde IRS in Washington."

Autor:

Siehe oben. Niemand antwortet. Jetzt könnte ich mich wieder an die Deutsche Bank wenden. Undsoweiter. Und den fleissigen Hamster im endlosen Rundlauf der Nicht-Information spielen.

Absage:

Hundert Jahre wie ein Tag – Die heimliche Globalisierung der Städte

Von Werner Rügemer

Es sprachen: Cathleen Gasslich, Ulrich Matthes und Christian Brückner

Ton und Technik: Benedikt Bitzenhofer, Jeantette Wirtz-Fabian

Regie: Petra Feldhoff, Assistenz: Maria Fremmer

Redaktion: Curt Hondrich

WDR/DeutschlandRadio 2001