Ratsgruppe Essen


 

Weiter Inhalt Hauptseite
STADTROTINFO
NR. 6, MÄRZ 2001
Stadtrotinfo
Inhalt

Auf dem rechten Auge blind

Unzureichende Beschlusslage des Rates gegen Rechtsradikalismus


Trotz strömenden Regens eine beeindruckende Ation: Mehrere antifaschistische Initiativen und Organisationen, darunter der Runde Tisch für Menschenrechte, gegen Rassismus und Rechtsradikalismus gingen am 27. Januar auf die Straße, um der Befreiung des KZ Auschwitz zu gedenken. Die DKP baute auf dem Willi-Brandt-Platz ein Mahnmal auf, mit dem an die Deportationen in die Vernichtungslager erinnert wurde. Auf dem Bild im Hintergrund ein Eisenbahnwaggon, wie ein Viehtransporter, im Vordergrund weiße Schuhe als Symbol für die abtransportierten Menschen.

Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten hat sich in Essen im letzten Jahr verdreifacht. 44 einschlägige Straftaten registrierten Essens Staatsschützer 1999, 137 im Jahr 2000. Die Zahlen sind vielleicht etwas mit Vorsicht zu genießen. Doch auch wenn die Steigerungsrate etwas geringer sein sollte, als 211 % - sie ist im Bundesvergleich gigantisch. Bundesweit wurden 1999 insgesamt 10.037 rechtsextremistische, fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten registriert, im letzten Jahr 15.951, das ist eine Steigerung um 59 %. Die Versuche der Essener Polizei, diese Entwicklung zu verharmlosen, stehen im umgekehrten Verhältnis zu dieser Entwicklung. Seit Jahren leugnet der Essener Staatsschutz eine organisierte Essener Skinhead- oder Neonazi-Szene, obwohl es jahrelang Treffpunkte von Leuten aus dem Umfeld der verbotenen Nationalen Front oder der Jungen Nationaldemokraten gab und insbesondere in Stadtteilen wie Essen-Steele und Borbeck immer wieder enge, bandenähnliche Zusammenhänge bekannt wurden. "Durch die Berichterstattung im vergangenen Jahr hat sich das Anzeigeverhalten der Bevölkerung verändert", so Jürgen Lui lapidar, Leiter des Polizeilichen Staatsschutzes in Essen. Also kein Grund zur Aufregung, oder?

Ratsmehrheit blockiert

Auch die Mehrheit im Essener Stadtrat will die Entwicklung der rechtsradikalen Szene einfach nicht wahrhaben. Nachdem Oberbürgermeister Dr. Reiniger im Mai dringend nach Erfurt musste, als 1.800 Menschen in Essen gegen den Aufmarsch der NPD demonstrierten, war die Frage der Gegenwehr gegen Rechts zwar mehrfach Thema im Rat, jedes Mal auf Antrag der PDS. Beschlossen wurde jedoch nur Unverbindliches, das nicht wehtut. Dazu gehören die Festlegungen, die traditionelle Veranstaltung von Jüdischer Gemeinde und Stadt am 9. November in der Alten Synagoge auszubauen und zu prüfen, ob und wie der 27. Januar, der Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz, von der Stadt als Gedenktag begangen werden kann.

Vorschläge der PDS-Gruppe aus dem letzten halben Jahr wie die Unterstützung des Runden Tisches, die Einrichtung einer Antidiskriminierungs-Stelle bzw. wenigstens eines Antidiskriminierungs-Berichtes oder ein Hearing zum Thema "Rechtsradikalismus in Essen - Ursachen, aktuelle Lage, Gegenstrategien" wurden glattweg abgelehnt. Der letztgenannte Antrag war eine direkte Reaktion auf den brutalen Überfall von Skinheads in Borbeck auf einen 14-jährigen Schüler, der einen Antifa-Aufkleber auf seine Schultasche geklebt hatte. Vor allem die Hinterbäkler der CDU sehen darin anscheinend kein Problem. Sie nahmen noch jeden Antrag zum Anlaß zu wüster Pöbelei gegen die PDS-Vertreter.

Damit hinkt die Stadt Essen weit hinter anderen Städten hinterher. In Städten wie Dortmund und Bochum lädt seit Monaten selbstverständlich der Oberbürgermeister zu den Runden Tischen ein, zu den Teilnehmern gehören zumindest auch einzelne Initiativen und Organisationen wie die VVN-BdA. In Köln haben auch CDU und FDP die Einrichtung einer Anti-Diskriminierungsstelle bei der Stadt unterstützt. Freilich, in Essen wäre das für die Verwaltung selbst wirklich gefährlich, wenn man z.B. an die rassistische Kampagne von Ordnungsdezernent Hinsen gegen die libanesische Bevölkerung denkt.

Tatsächlich lenkt insbesondere die CDU von jeder Kritik am Rechtsradikalismus immer wieder durch den Verweis nach Links ab. Damit verharmlost sie die rechten Gewalttäter. In der August-Sitzung des Rates haben CDU und FDP selbst eine Bekräftigung der alten Ratsbeschlüsse gegen die Vergabe von städtischen Räumen an rechtsradikale Gruppen abgelehnt - sie käme allerdings auch schnell in Konflikt mit den REP, die sich programmatisch kaum von der NPD unterscheiden und im Stadtrat bei fast jeder wichtigen Entscheidung mit CDU und FDP gestimmt haben.

Nur kosmetische Veränderungen bei der Mittel-Vergabe

600.000 DM hat die Stadt Essen aus dem Landesprogramm "Kommunen gegen Rechtsradikalismus" erhalten. Die Mittel-Vergabe ist umstritten. Der Kriminalpräventive Rat (Vorsitzender: Polizeipräsident Schenkelberg) erhält allein 105.000 DM, der Carnival der Kulturen 140.000 DM. Auch der Runde Tisch für Menschenrechte, gegen Rassismus und Rechtsradikalismus protestierte gegen die Entscheidung des Hauptausschusses über die Vergabe der Landesmittel.

... Nach der Kürzung der Mittel für zwei Projekte und dem Rückzug eines Antrages der ÖTV stellte der Ausschuß mit Stimmenmehrheit der CDU "großzügig" ca. 30.000 DM (5 % der Gesamtsumme) für solche Projekte zur Verfügung, für welche die Gelder ursprünglich vorgesehen waren. Damit hat sich an unserer Einschätzung nichts wesentliches geändert: Insbesondere städtische oder von Behörden getragene Projekte haben den Zuschlag erhalten.

Für einen besonderen Skandal halten wir dabei die Tatsache, dass die CDU-Mehrheit im Hauptausschuß die Finanzierung des gerade erst beschlossenen Besuchsprogramms für Zwangsarbeiter/innen in den Landestopf schiebt, mit dessen Zielen es eigentlich doch gar nichts zu tun hat. Damit entzieht sich die Stadtspitze schamlos der politischen und moralischen Verantwortung der Stadt Essen für die Beschäftigung von über 10.000 Zwangsarbeiter/innen im Zweiten Weltkrieg.

Unserer Ansicht nach entspricht weder die konkrete Vergabe der Mittel in weiten Teilen den Intentionen des Begleitbriefes des Innenministers, noch das undemokratische Verteilungsverfahren. Die Entscheidung des Ausschusses soll noch nicht einmal mehr im Rat beraten werden. Die Mehrheitsparteien schützen sich damit vor unliebsamen öffentlichen Diskussionen.

Es geht auch anders: Die Stadt Oberhausen legte die Vergabe der Landesgelder gänzlich in die Hände des dortigen Runden Tisches.

Pressemitteilung des Runden Tisches für Menschenrechte, gegen Rassismus und Rechtsradikalismus

Aktivitäten für Anti-Diskriminierung nach wie vor nötig

SPD und Grüne haben zwar etliche Anträge der PDS unterstützt, jedoch so gut wie keine eigenen Aktivitäten entwickelt. Dabei war Essen eine der ersten Städte, in denen der Rat eine Resolution gegen Diskriminierung beschloß. Initiator der 1998 einstimmig vom Rat verabschiedeten Resolution waren die Grünen. Diese Resolution könnte wichtige Anhaltspunkte für eine Mobilisierung gegen Rechts bieten, weil sie das Augenmerk auf gesellschaftliche Diskriminierung in jeder Form richtet. Und der Rassismus der rechtsradikalen Szene funktioniert nur, weil die Gesellschaft Rassismus stützt. Mit Ausnahme von Ansätzen der Zusammenarbeit der Stadtspitze mit dem Forum Essener Lesben und Schwuler (F.E.L.S) hat diese Resolution jedoch keine Konsequenzen gehabt.

Umso weniger ist es nachvollziehbar, dass keine der beiden anderen Oppositions-Fraktionen an dieser Resolution anknüpfen will. Im Gegenteil: Die Anträge der PDS zur Einrichtung einer Anti-Diskriminierungs-Stelle bzw. einer Anti-Diskriminierungs-Berichterstattung fanden auch bei rosa-grün keine Unterstützung. Dabei wäre doch selbst ein schlechter Bericht der Verwaltung über die Entwicklung der rechtsradikalen Szene und mögliche Gegenmaßnahmen besser, als gar keiner. Auch ein schlechter Bericht würde nämlich immerhin eine Diskussion im Rat ermöglichen und so zur Auseinandersetzung mit dem Problem beitragen.

Auch bei Initiativen und Organisationen des Runden Tisches für Menschenrechte, gegen Rassismus und Rechtsradikalismus gibt es Überlegungen für eine Anti-Diskriminierungsstelle. Sie sollte auch Aufgabe haben, Aktivitäten der Stadt mit denen "von unten" zu verknüpfen. Insofern ist das Thema sicherlich nicht erledigt und sollte spätestens dann wieder aufgegriffen werden, wenn Erfahrungen aus anderen Städten vorliegen.

Wolfgang Freye

Abgelehnt - Antrag "Rechtsradikale Übergriffe in Essen", Januar 2001

Der Rat möge beschließen:
  1. Die Stadtverwaltung berichtet in den zuständigen Fachausschüssen, durch welche Maßnahmen sie - auch in Zusammenarbeit mit Dritten - die Sicherheit von Menschen gegenüber rechtsradikalen Übergriffen in Essen zukünftig besser gewährleisten will. Denkbar sind z.B. die Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements und Konfliktschulungen, z.B. für EVAG-Fahrer/innen.
  2. Die Stadt Essen führt ein Hearing "Rechtsradikalismus in Essen - Ursachen, aktuelle Lage, Gegenstrategien" durch. Sie bemüht sich, die Universität Essen als Mitveranstalterin zu gewinnen. Zu dem Hearing sollen alle gesellschaftlichen Gruppen eingeladen werden, um ein breites Meinungsspektrum zu erhalten. Das Hearing findet im Ratssaal statt. Die Ergebnisse sind in geeigneter Form der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
  3. Der Stadtrat begrüßt die Initiative der Bezirksvertretung IV, sich über die Situation des Rechtsradikalismus in ihrem Bezirk durch sachverständige Stellen informieren zu lassen und ermuntert andere Bezirksvertretungen, in ihren Stadtteilen ähnliche Initiativen zu ergreifen.

Weiter Inhalt Hauptseite
Letzte Änderung: 18.11.2002 - os
Ansprechpartner