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Frankfurter Rundschau 21.06.2003

Millionen aus dem Nichts - Wenn Kämmerer den Dukatenesel entdecken

Cross-Border-Leasing fasziniert Kassenwarte der klammen deutschen Städte / Skeptiker warnen vor Risiken beim Verpachten kommunaler Einrichtungen an US-Investoren

Die Not ist groß im Land. So groß, dass sonst eher biedere Stadtkämmerer das Risiko entdecken und wieder an den Goldesel glauben. Er kommt bei ihnen mit dem Namen Cross-Border-Leasing daher. Seit rund zehn Jahren mischen Kommunen bei diesem nicht gerade leicht zu durchschauenden System mit. Für die einen, die "Risk-Lover", ist es der Weg aus der kommunalen Schuldenfalle - sie hoffen auf kräftige Finanzspritzen für ihre klammen Kassen. Für andere, die "Risk-Averter", ist es der schnellste Weg abwärts, direkt in den Offenbarungseid, bei dem das Tafelsilber von Städten und Gemeinden auf der Strecke bleiben könnte.

Von Rainer Jung

In Düsseldorf liegt der Zaster nicht mehr unter dem Pflaster. Stadtkämmerer Helmut Rattenhuber hat ihn längst gehoben. 260 Kilometer Kanäle und zwei Kläranlagen hat die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt schon 1999 versilbert. Ertrag: Umgerechnet rund 20 Millionen Euro. Im vergangenen Jahr waren dann die Tunnel und Bahnhöfe des öffentlichen Nahverkehrs an der Reihe: Rattenhuber und sein Bürgermeister Joachim Erwin (CDU) jetteten in die USA und kehrten mit einer Zahlungszusage über 62 Millionen Dollar zurück.

Seitdem gilt der Düsseldorfer als Könner in einer Kunst, die für die Kassenwarte der notleidenden deutschen Städte immer notwendiger wird: Er zaubert gewissermaßen Einnahmen aus dem Nichts. Denn, Simsalabim, all die Tunnel, Klärwerke und Abwasserröhren haben zwar viel Geld gebracht, sie gehören trotzdem immer noch der Stadt Düsseldorf. Eine ganz breite Mehrheit aus CDU, SPD, Grünen und FDP hat Rattenhubers Transaktionen im Stadtrat abgesegnet. Die Einwohner profitieren direkt davon: "Wir haben die Kanalgebühren für die Bürger stabil halten können", betont der Kämmerer eifrig.

Das Stichwort für die moderne Dukateneselei heißt Cross-Border-Leasing (CBL). Dahinter stecken Geschäfte, mit denen die amerikanische Finanzbranche seit Mitte der achtziger Jahre ganz legal Lücken im heimischen Steuerrecht nutzt. Nach Partnern in den Niederlanden, Belgien und der Schweiz beteiligen sich nun zunehmend auch deutsche Unternehmen und Kommunen an solch grenzüberschreitenden Finanzoperationen.

Die Konstruktion ist nicht ganz einfach: Mehrere US-Investoren gründen zunächst einen Trust als Rechtsperson für ihren Deal. Dieser schließt im Ausland einen langfristigen, meist auf 99 Jahre angelegten Leasingvertrag über einen Teil der öffentlichen Infrastruktur (siehe Grafik). Dabei kann es sich um eine Müllverbrennungsanlage, Wasserwerke, Krankenhausgebäude oder eben Kanal- sowie U-Bahn-Netze handeln. Wegen der langen Laufzeit des Pachtvertrags gilt der Investor aus den USA bei seinem Finanzamt hinfort als "wirtschaftlicher Eigentümer". Damit darf er seine Investition in old Europe abschreiben und erzielt so Steuervorteile.

In einem zweiten Kontrakt pachtet die Kommune das jeweilige Objekt postwendend zurück. Der Rückmietvertrag läuft meist über 25 bis 30 Jahre. Nach Ablauf der Frist hat der deutsche Partner die Gelegenheit, das gesamte Geschäft zu beenden - gegen Zahlung eines "Optionspreises". Geschieht das nicht, betreibt die amerikanische Seite die Anlage für den Rest der Laufzeit weiter. Nach deutscher Rechtsauffassung bleibt die Kommune aber stets zivilrechtliche Eigentümerin der verpachteten Anlage.

Die Pachtgebühr erhält die Gemeinde auf einen Schlag vom amerikanischen Investor. Der Löwenanteil davon wandert auf Konten, die bei Banken mit besonders hoher Bonität geführt werden müssen. Von diesen fließen in den folgenden 25 Jahren die Leasingraten aus dem Rückmietverhältnis, außerdem deckt die Rücklage die Kosten für den Optionspreis.

Der eigentliche Clou für geplagte Kämmerer ist ein Zuschlag, den der Investor gleich mit überweist. Dieser so genannte "Barwertvorteil" beträgt etwa vier Prozent des gesamten Leasingvolumens. Die beteiligte Stadt kassiert damit einen Anteil an der künftigen Steuerersparnis des Investors - und eine Art Honorar für ihre Beteiligung am Geschäft.

Die Summen sind zwar zu klein, um die maroden Haushalte zu sanieren. Aber ein bisschen Luft verschaffen sie doch: "Ein Mittel der Sonderfinanzierung", nennt es der Gelsenkirchener Kämmerer Reiner Kampmann. So profitieren beide Seiten von dem transatlantischen Deal - und natürlich fällt auch für die Banken und Wirtschaftsanwälte, die das Geschäft abwickeln, reichlich Gewinn ab. Die Rechnung zahlt der amerikanische Steuerzahler.

Der ist für gebeutelte deutsche Stadtkassenwarte eine ferne Größe. Kein Wunder, dass die CBL-Welle derzeit mächtig rollt: Straßenbahnen in München, Dortmund, Würzburg und Kassel wurden schon grenzüberschreitend verleast, ebenso wie Kläranlagen und Kanäle in Köln und Herford oder die Westfalenhalle in Dortmund. Allein in Nordrhein-Westfalen haben Kommunen und Zweckverbände Berechnungen des Landesinnenministeriums zufolge in den vergangenen Jahren 345,5 Millionen Euro eingestrichen.

Auch der Frankfurter Magistrat will mitverdienen und das U-Bahn-Netz hin und zurück vermieten: Erwarteter Barwertvorteil: 60 bis 75 Millionen Dollar. CDU, Grüne und FDP sind dafür. Lediglich die SPD hat Zweifel an dem Geschäft

Doch während einerseits bereits Mittelstädte wie das sachsen-anhaltinische Wittenberg im US-Leasinggeschäft mitmischen, wächst andererseits die Kritik. So unterschiedliche Kräfte wie die Umweltschutzorganisation BUND, der Bund der Steuerzahler, das globalisierungskritische Netzwerk Attac und die bayerische Staatsregierung sind sich einig in ihrer Ablehnung von CBL. Zu riskant seien die Deals, unmoralisch und eine Attacke auf das Rechtsbewusstsein: Es entstehe in der Öffentlichkeit "ein verheerendes Bild, wenn Kommunen auf Steuertricks hart an der Grenze der Legalität zurückgreifen", donnert Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU). Und Finanzminister Kurt Faltlhauser findet Worte, die man eher von gestandenen Linken erwarten würde: "Einen Ausverkauf der Städte und Gemeinden wegen kurzfristig lukrativer Steuertricksereien und riskanter Finanzierungsmodelle wollen wir verhindern."

Skeptisch machen die bayerische Kommunalaufsicht vier Punkte, die auch andere Kritiker monieren: Der gigantische Umfang der Verträge, die mit Anlagen oft mehr als tausend Seiten stark sind und für Laienpolitiker in den Stadträten kaum verständlich seien. Der Gerichtsstand ist bei allen Kontrakten New York - deshalb gilt amerikanisches Recht. Damit verbunden fürchten die Gegner mögliche Eigentums-, Haftungs- und Schadenersatzansprüche der Investoren, die womöglich selbst Großstädte in den Bankrott treiben könnten. Und schließlich stellen sie die Frage, was auf deutsche Kommunen zukäme, wenn die US-Regierung dem munteren Steuersparen per Gesetzesänderung einen Riegel vorschieben würde: "Wir sehen Risiken, die man einfach nicht auf die leichte Schulter nehmen darf", resümiert Becksteins Sprecher Michael Ziegler.

In mindestens drei Fällen haben sich die Skeptiker mittlerweile durchgesetzt. Im bayerischen Kulmbach verhinderte ein Bürgerbegehren ein geplantes Cross-Border-Leasing. In der Nachbarstadt Fürth kippte der Stadtrat wenig später einstimmig einen Beschluss dafür. Auch in Wesel am Niederrhein fand der Plan, Kläranlage und Kanalnetz nach Amerika zu verpachten, keine Mehrheit. FDP und CDU waren dagegen, SPD und Grüne überwiegend dafür. Das Votum zeigt, wie wenig überschaubar die Fronten beim globalen Leasen verlaufen. "Schade, dass es nicht geklappt hat. Wir hätten das Geld gut gebrauchen können", bedauert Wesels Kämmerer Manfred Busch.

Der Grüne, früher als wirtschaftspolitischer Sprecher im nordrhein-westfälischen Landtag, gilt im Kreis städtischer Kassenwarte als CBL-Crack. Busch hat schon in zahlreichen Diskussionsrunden mit Skeptikern gesessen. Deren Argumente kennt er in- und auswendig.

Was ist etwa dran an der Furcht vieler Ökologen, eine Kommune könne - wegen drohender Schadenersatzansprüche des Investors - ihre Kläranlage selbst dann nicht kleiner dimensionieren, wenn der Gemeinderat das wünsche - und umweltfreundliche Systeme wie Sparspülung und Regenwasserversickerung dies erlaubten.

Nichts, meint Busch. Wer seinen Vertrag richtig aushandle, der müsse nicht fürchten, dass Leasing zur Fortschrittsbremse wird. Weil Modernisierungen den Wert der Investition nicht senkten, sondern erhöhten. Auslastungsgarantien stünden nicht zur Debatte, sogar Teilstilllegungen seien drin, wenn prinzipiell eine Wiederaufnahme des Betriebs möglich bleibe. Und wenn die gesamte Anlage beispielsweise einem Großbrand zum Opfer fällt, müsse die Stadt sie auch ohne Druck aus Amerika wieder aufbauen: "Abwasserentsorgung ist eine Pflichtaufgabe."

Frankfurter Vorstoß

In Frankfurt am Main ist eine wichtige politische Grundsatzentscheidung gefallen: Am 17. Juni hat das Stadtparlament mit den Stimmen von CDU, Grünen und FDP den Weg geebnet für die Verhandlungen über einen Cross-Border-Leasing-Vertrag. Er betrifft "Tunnel, Gleisanlagen und Bauwerke der Stadt-, U- und der Straßenbahn einschließlich Nebeneinrichtungen". Über den Kontrakt selbst soll noch einmal die Stadtverordnetenversammlung entscheiden.

Die Transaktion wird in zwei Tranchen aufgespalten: Der gesamte Wert des Stadtbahnnetz wird mit 2,3 Milliarden Dollar beziffert. In den ersten Teil des Vertrages könnten Netzteile im Wert von 1,4 bis 1,6 Milliarden Dollar eingebracht werden. Die Idee dazu ist vor dem Hintergrund der prekären Finanzlage der Stadt im vergangenen Jahr auf der politischen Agenda im Römer aufgetaucht. Von Anfang an begegnete die SPD der Sache mit Misstrauen und Ablehnung, weil die Risiken unüberschaubar seien.

Mit drei US-Unternehmen hat die Stadtwerke Verkehrsgesellschaft Gespräche geführt, darunter der Zigarettenkonzern Philip Morris und die Wachovia Bank. Derweil versucht ein Bürgerbegehren "Rettet die U-Bahn", die nötigen 40.000 Unterschriften gegen die Transaktion zu sammeln. jg

Beim Betrieb von Konferenzzentren, die mittlerweile ebenfalls verleast werden, ist das allerdings anders. In diesen Fällen hat sogar die Kommunalaufsicht im nordrhein-westfälischen Innenministerium Zweifel, die CBL-Projekten sonst eher aufgeschlossen gegenübersteht: "Ob es sinnvoll ist, Messegelände und -gebäude für einen Zeitraum von 30 Jahren zweckzubinden, muss ernsthaft erörtert werden", fordert Ministerialrat Hartmut Beuß.

Die Gefahr einer stillen Enteignung durch den Investor oder amerikanische Gerichte kann der promovierte Wirtschaftswissenschaftler Busch auch nicht erkennen. CBL-Gegner, die ihre Warnung vor einem "Ausverkauf kommunalen Tafelsilbers" damit begründen, dass in den Verträgen von einer "Rückkaufoption" nach 25 Jahren die Rede ist, hätten schlicht etwas falsch verstanden: "Das heißt keineswegs, dass die Kommune ihr dingliches Eigentum zurückkaufen muss." Vielmehr kaufe sie dem Investor seine Rechte am Fortlaufen des Vertrags ab, erklärt Busch.

Das Misstrauen gegen amerikanische Gerichte reizt den gescheiterten CBL-Freund sogar zum Lachen: "Die USA sind einer unserer größten Handelspartner, man kann doch nicht plötzlich so tun, als ginge es dort zu wie in einer Bananenrepublik." Das Risiko von Gesetzesänderungen trage fast ausschließlich der Investor. Außerdem mache die amerikanische Regierung keinerlei Anstalten, die einschlägigen Gesetzeslücken zu schließen. Mit gutem Grund: "Der Abfluss von einigen Milliarden Dollar wird in Kauf genommen, um die großzügige Subventionierung der US-Wirtschaft weiterführen zu können", glaubt Busch.

Also sei es wohl nicht verwerflich, wenn deutsche Gemeinden sich von den Steuergeschenken ans Big Business jenseits des Atlantiks ein Scheibchen abschnitten. Und dann glaubt der Kämmerer von Wesel noch die schlichte Alltagsempirie auf seiner Seite: "Ich habe noch nie von Problemen gehört."

Das stimmt nicht ganz. Stadt und Landkreis Aachen haben beim Versuch, eine Müllverbrennungsanlage zu verleasen, um die sieben Millionen Euro verloren. Allerdings nicht an den Investor, sondern weil der Deal gar nicht erst zu Stande kam. Die Berater, die das Geschäft eingefädelt hatten, schickten trotzdem ihre Rechnungen. Der grüne Aachener Ratsherr Helmut Ludwig sieht die Finanzstrategie via Amerika seitdem skeptisch: "Für das hohe Risiko ist der erwartete Barwertvorteil eigentlich zu gering."

Dem deutschen CBL-Boom haben derartige Einzel-Erfahrungen bislang keinen Abbruch getan. Selbst die skeptischen Bayern schlagen mittlerweile wieder leisere Töne an: Ein Gesetzentwurf des Innenministeriums, der zumindest den bayerischen Kämmerern die Geldbeschaffung via Cross-Border-Leasing untersagen soll, liegt derzeit auf Eis. "Es gab heftigen Widerspruch von den kommunalen Spitzenverbänden", räumt Ministeriumssprecher Ziegler ein. Dennoch sei die Initiative erst einmal nur aufgeschoben.

Frankfurter Rundschau 21.06.2003

 

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