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Rechte und Regelungen für Einwanderung ?
Zum Sachstand der Debatte in der PDS

aus: PDS-LANDESINFO-NRW 2/2001
von Tilmann Müller

Hintergrund der Debatte

Die Debatte um ein Einwanderungsgesetz ist in der PDS seit einigen Monaten im Gange und wird mit ziemlicher Heftigkeit geführt. Diese Emotionalität ist insofern verständlich als hier einige sehr grundsätzliche Dinge in Frage gestellt sind.

Das betrifft zum einen die Veränderungen des Grenzregimes in Europa, die nicht nur bildlich gesprochen - innerhalb von gut zehn Jahren den "Eisernen Vorhang" durch die "Festung Europa" ersetzt haben. In Deutschland sind sicher geglaubte menschenrechtliche Standards mittlerweile zur Disposition gestellt.

Das Asylrecht wurde faktisch abgeschafft, statt dessen eine zynische Praxis mit Drittstaatenregelung, Abschiebehaft und Asylbewerberleistungsgesetz eingef0hrt. Kulturstaatsminister Nida-Rümelin vergleicht die Bilderstürmerei der Taliban mit den Bücherverbrennungen der Nazis, doch die Bundesregierung, der er angehört verweigert afghanischen Flüchtlingen das Asylrecht, da sie keiner staatlichen Verfolgung ausgesetzt seien. In Essen versucht das Ausländeramt einer kurdischen Familie per Gentest nachzuweisen, dass sie bei ihrem Asylantrag eine falsche Nationalität angegeben haben (falsche Angaben = Ablehnung des Antrags = Abschiebung) den Methoden der nationalsozialistischen Rasselehren zum Verwechseln ähnlich. Diese Liste lässt sich leider fortsetzen. An der Grenze zu Polen ist es Normalität geworden, dass Flüchtlinge sterben oder Bissverletzungen von den Hunden der Grenzschützer erleiden. Flüchtlinge sind die weitgehend rechtlose Manövriermasse einer europäischen Biopolitik - so rechtlos wie billig als Arbeitskräfte und deshalb z.B. in der Gastronomie sehr begehrt.

Mit der green-card-Debatte wurde plötzlich ein massives Interesse offenbar, das die Wirtschaft an "nützlichen" Arbeitsmigrantlnnen hat; nützlich sowohl als Spezialistlnnen wie auch zum Unterlaufen von Lohn- und Sozialstandards. Das hat zu einer grundsätzlichen Veranderung der Situation gefuhrt, wie sie noch vor kurzem undenkbar gewesen wäre: bei allen Parteien, auch der CDU mit ihren rassistischen Kampagnen, geht es nicht mehr darum, ob Einwanderung zugelassen wird, sondern wie, nach welchen Kriterien. In welchem Umfang und mit welchen Begrenzungen, inwieweit zu Lasten des Asylrechts. Diese veränderte Ausgangslage ist der Hintergrund für Petra Paus Vorschlag, die bisherige Position der PDS, namlich keinerlei Regelung für Einwanderung zu diskutieren, zu verlassen und ein eigenes Konzept für ein Recht auf Einwanderung zu erarbeiten.

Die Emotionalität der Debatte bezieht sich also, zum anderen auf den Charakter der PDS als einziger oppositioneller Partei, gegen die skizzierte unmenschliche Abschottungspolitik: Petra Paus Thesen zur Einwanderung würden, so lautete ein Vorwurf, öffentlich den Eindruck erwecken, die PDS trete nicht mehr für offene Grenzen für Menschen in Not" ein. Diese Forderung ist ein wirkliches PDS-Essential, weil sie klar und verständlich formuliert der zynischen Asylpraxis und der militanten Wohlstandsverteidigung widerspricht und menschliche Not, nicht wirtschaftliche Nützlichkeit zum Kriterium macht. Grund genug also, sich die Positionen in der PDS zur "Politik der Grenzen" zu vergegenwärtigen. Also die Asyl- Flüchtlings- und Migrationspolitik in ihrem Zusammenhang. Vielleicht macht eine Versachlichung der Debatte ja eine Klärung der wirklich in Frage stehenden Standpunkte möglich.

Debatte in der PDS

Petra Pau und Katina Schubert, Sprecherin der BAG Antirassismus, haben im Juni letzten Jahres "Überlegungen über ein modernes Einwanderungs- und Niederlassungsrecht der PDS" verfasst, auf denen dann die im November von Petra Pau veröffentlichten sechs Thesen aufbauen. Streitpunkt ist die dritte These, in der als Kriterium für den Rechtsanspruch auf Einwanderung die sechsmonatige Suche eines Arbeitsplatzes formuliert wird. D.h.: wem dies in diesem Zeitraum nicht gelingt, muss wieder ausreisen und, in letzter Konsequenz, abgeschoben werden. Dagegen brachte v.a. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, vor, ein Einwanderungsgesetz sei letztlich immer ein Einwanderungsbegrenzungsgesetz; die PDS solle sich daher an der Diskussion nicht beteiligen. Peter Porsch, stellv. Bundesvorsitzender, unterstrich die "Vision der Freizügigkeit", gerade aus der Erfahrung der Einmauerung einer ganzen Bevölkerung in der DDR"; Karin Hopfmann, flüchtlingspolitische Sprecherin der PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, legte eigene Thesen und ein "Vier-Saulen-Konzept für eine Migrations- Asyl- und Integrationspolitik der PDS" vor. Neben zahlreichen Presseveröffentlichungen fand am 2.3.2001 eine öffentliche Anhörung für Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik im Bundestag statt, an der verschiedene auf diesen Feldern aktive Organisationen und Initiativen teilnahmen. Im April wird es eine weitere Anhörung zum Thema geben.

Obwohl sie in der Debatte manchmal nicht ganz klar auseinandergehalten wurden, lassen sich doch recht deutlich Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den verschiedenen Bereichen ausmachen. Dieser bisherige Diskussionsstand soll im folgenden in den wesentlichen Zügen wiedergegeben werden.

Konsens in der Asyl- und Flüchtlingspolitik

Die Position "offene Grenzen für Menschen in Not" als Grundsatz für den Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik ist von niemandem in Frage gestellt worden, ebenso, ist die Orientierung an Menschenrechten, Solidar- und Gerechtigkeitsprinzipien anstelle von Nützlichkeitserwägungen selbstverständlich. Weitgehende Einigkeit besteht darüber, unter derartigen Notsituationen existentielle Bedrohungen wie politische Verfolgung, Kriege, ökologische oder Hungerkatastophen zu verstehen; eine Gefahr für Leib und Leben einer Person also im Fall der Abschiebung. Klärungsbedarf besteht in der Frage von Armutsmigration, welcher Stellenwert also der Verletzung elementarer wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte zukommt.

Ohne Abstriche besteht Übereinstimmung in der Forderung, das individuelle Asylrecht zu erhalten bzw. in der uneingeschränkten Form wieder herzustellen.

Nicht-staatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung sind ins Asylrecht aufzunehmen, die Drittstaatenregelung, die Abschiebehaft das Flughafenverfahren und das Asylbewerberleistungsgesetz sind abzuschaffen.

Des weiteren gibt es Konsens in folgenden (und sicherlich noch weiteren) Punkten: konsequente Bekämpfung von Fluchtursachen; eine menschenrechtlich orientierte Integrationspolitik; für ein Niederlassungsrecht: für die Ratifizierung und Umsetzung der UN-Wanderarbeiterkonvention; für die Legalisierung des Aufenthalts von Illegalisierten z.B. durch eine Stichtagsregelung; für den Familiennachzug.

Dissens um die Regelung für Einwanderung

Der wesentliche Dissens betrifft die Frage nach der Arbeitsmigration, d.h. von Menschen, die weder politisch verfolgt werden, noch in sich in anderen Notsituationen befinden. Nach der geltenden Rechtslage gibt es derzeit keine Möglichkeit zur legalen Einwanderung.

Es lassen sich drei Positionen unterscheiden (die den Namen von Petra Pau, Ulla Jelpke und Karin Hopfmann zugeordnet werden können).

Die erste Position fordert in der veränderten Situation einen Strategiewechsel der PDS und will zusätzlich zur Asyl- und Flüchtlingspolitik ausdrückliche Regelungen zur Einwanderung treffen. Das Konzept für ein Einwanderungsrecht soll für diejenigen Migrationsformen, die nicht in den Asyl- und Flüchtlingsbereich fallen, klare und transparente Rechtsansprüche auf Einwanderung formulieren. Neben humanitären Gründen (außerhalb des Asylrechts) und Familiennachzug betrifft das die Suche nach Beschäftigung. Wie oben schon dargestellt, bedeuten die Bedingungen bei Nichterfüllung die Pflicht zur Ausreise. Hervorzuheben ist aber, dass davon unmissverständlich nur diejenigen betroffen sein sollen, die zur Arbeitssuche und nicht aus einer existenziellen Bedrohung gekommen sind.

Die zweite Position will keine Veränderungen gegenüber dem bisherigen Kurs der PDS und sich an der Diskussion um Zuwanderung nicht beteiligen, weil bei der Formulierung von Kriterien immer deren repressive Seite berücksichtigt werden müsse. Die PDS solle in keinem Fall irgendeiner Form von Abschiebung zustimmen. das käme einer inneren Zerreißprobe gleich.

Das Vier-Säulen-Konzept schlägt als vierte Säule (neben dem Asylrecht), der umfassenden Bekämpfung von Fluchtursachen sowie einem integrationspolitischen Konzept) auch eine Regelung zur Arbeitsmigration vor. Die Einwanderung solle zu bestimmten Zwecken prinzipiell ermöglicht werden (zur Arbeitsaufnahme, Unternehmensgründung, selbständigen Tätigkeit, Berufsausbildung und Studium), aber an den Nachweis von entsprechenden Arbeitsverträgen, Startkapital, Studienplätzen usw. gebunden werden.

Bewertung

Ich hoffe, mit der Darstellung eine sachliche Grundlage gegeben zu haben für eine eigene Beurteilung der verschiedenen Positionen. Das will ich selber hier auch tun.

Wenn eine überzeugende, großzügige Definition existentieller Notsituationen gelingt, die Frage von Armutsmigration geklärt und somit ein klarer und umfassender Schutzanspruch formuliert ist, wenn Lohn- und Sozialdumping durch gleichzeitigen Einsatz für tarifliche und arbeitsrechtliche Regelungen verhindert werden, dann scheint mir das Konzept eines Rechtsanspruchs auf Einwanderung nach Abwägung der Alternativen das Überzeugendste zu sein. In der Tat müssten vorher aber die genauen Vorstellungen über die Dauer und die Bedingungen des Aufenthalts zur Arbeitsuche noch weiter geklärt werden (Sozialhilfeanspruch, Unterstützung durch die Arbeitsämter usw.).

Das Vier-Saulen-Konzept schränkt die Arbeitsmigration schon auf der Stufe der Einreise ein und umgeht so einfach das Problem der Wiederausreise, aber eben zu Lasten der Möglichkeiten der Migrationswilligen. Das ist wenig überzeugend und bedeutet im Kern auch eine Form der Abschottung.

Die Forderung nach Freizügigkeit ist zwar eine in sich konsistente, durchaus sympathische Maximalforderung, würde aber bei jedem Versuch der Konkretisierung unter den gegebenen kapitalistischen Bedingungen auf umfassende Probleme stoßen, angefangen bei Lohn- und Sozialdumping, denen dann kaum praktische Schritte folgen können. Das kann man trotzdem fordern, sollte sich aber darüber im Klaren sein, dass nach heute vorhandenen Spielräumen gar nicht mehr gefragt wird.

Auf jeden Fall stellt sich die Frage nach den konkreten Alternativen. Denn es besteht kein Zweifel daran, dass Migration stattfindet und stattfinden wird, solange es ein extremes Wohlstandsgefälle und einen Arbeitskräftebedarf durch das Kapital gibt. Die Frage ist, ob dies das Kapital alleine regeln soll, mit allen Gefahren und Folgen für die Betroffenen bei der illegalen Einreise. Denn das ist auch eine Konsequenz, wenn wir sagen, wir kümmern uns nicht um Einwanderung, sondern nur um die Eingewanderten. Oder kann diesen durch die Einführung eines Einwanderungsrechts eine legale Einwanderungsmöglichkeit und darüber hinaus auch ein gewisser Schutz vor Ausbeutung verschafft werden, was im Vergleich höher zu bewerten ist als Sanktionen, schlimmstenfalls Abschiebungen. (ich betone noch einmal: nicht in Folter, Mord oder existentielle Not). Was ist die progressivere. d.h. den unmittelbar und mittelbar Betroffenen mehr Rechte und Möglichkeiten bietende Alternative ? Unter den oben genannten Bedingungen scheinen mir die positiven Seiten eines Einwanderungsrechts deutlich zu überwiegen. Zudem geht es realistischerweise nicht um dessen sofortige Einführung, sondern auch darum, in die anstehende gesellschaftliche Debatte einzugreifen. Und hier könnte die offensive Forderung nach einem Rechtsanspruch auf Einwanderung durchaus positive Auswirkungen auf die Situation der Migrantlnnen insgesamt haben, da sie hier im Gegensatz zu den anderen Parteien nicht einem Nützlichkeitskriterium untergeordnet werden, sondern als Rechtssubjekte aufgefaßt werden. Damit könnte dies auch ein Ansatz sein, um für die Idee einer Einwanderungsgesellschaft und deren Akzeptanz insgesamt zu werben.

Tillmann Müller

Letzte Änderung: 05.10.2001 - os /
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