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Gregor Gysi zu Asylpolitik, Nichtfaschisten und Antifaschisten
aus: "Ein Blick zurück, ein Schritt nach vorn" (S.97 ff)

In der Debatte um die Beschränkung des Asylrechts bin ich deshalb im Bundestag besonders leidenschaftlich aufgetreten und bestreite nicht, übel genommen zu haben. Denn ich konnte gerade in den neuen Bundesländern die Wirkungen der genannten Parolen spüren. Anstatt rechtsextremistisches Denken zu ächten, immer wieder dagegenzuhalten, kamen von der offiziellen Politik Vorlagen. Ich habe besonders auf Unionspolitiker hingewiesen, aber es waren auch Sozialdemokraten, die während der Asyldebatte 1995, aber auch in den Jahren danach auf ähnliche Weise zum Beispiel gegen den "Missbrauch" des Asylrechts argumentierten.

Ich ärgere mich auch über Begriffe wie "Gastrecht", die mit einer Selbstverständlichkeit verwendet werden, als gäbe es die Artikel 1 und 2 des Gnmdgesetzes nicht. Man muss einmal die Naziurteile lesen, in denen die Deutschen im Verhältnis zu den Juden als Wirtsleute bezeichnet werden, um zu wissen, was man mit einem Wort wie "Gastrecht" alles anstellen kann. Natürlich sollen Asylberechtigte, Bürgerkriegsflüchtlinge etc. in ihr Land zurückkehren, weil die Ursachen für die Flucht in angemessener Zeit überwunden werden. Über all das ließe sich vernünftig reden. Und natürlich gibt es Menschen, die nicht nach Deutschland kommen, weil sie in ihrem Land politisch verfolgt werden, sondern weil sie ihre wirtschaftliche Lage verbessern wollen. Aber sind in den vergangenen Jahrhunderten nicht auch viele Deutsche aus wirtschaftlichen Gründen ausgewandert? Wie war das mit jenen, die nach Brasilien oder Kanada oder in die USA zogen? Haben wir das jemals moralisch so verurteilt wie das so genannte Wirtschaftsasylantentum ? Auch ich weiß, dass nicht alle Menschen aus allen Ländern Platz in Deutschland hätten, doch abgesehen davon, dass die meisten gar nicht kommen wollen, haben wir noch nie vor einer solchen Situation gestanden. Durch die faktische Abschaffung des Asylrechts ist die Zahl der Asylbewerberinnen und Asylbewerber erheblich zurückgegangen. Inzwischen gibt es eine rigorose Abschiebungspraxis, auch gegenüber anderen F1üchtlingen. Bei der Neuregelung des Asylrechts und der Durchsetzung einer solchen Abschiebungspraxis wurde unter anderem als Begründung angeführt, dass gerade dadurch dem Rechtsextremismus, dem Rassismus, der Fremdenfeindlichkeit der Boden entzogen würde. Tatsächlich hat der Rechtsextremismus trotz sinkender Zahl von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern und trotz sinkender Flüchtlingszahlen zugenommen.

Inzwischen wird in Deutschland über Greencards diskutiert und ein Einwanderungsgesetz gefordert, weil der deutschen Wirtschaft Spezialistinnen und Spezialisten fehlen, die aus dem Ausland angeworben werden sollen. Es zeigt sich, dass Deutschland auf Einwanderung angewiesen ist, und so vollziehen sich Änderungen in der Argumentation und im Vokabular, die vielleicht wirksamer dazu beitragen, dem Rechtsextremismus zu begegnen.

Der Durchmarsch neoliberaler Politik in Europa, das heißt die Akzeptanz des Primats der Wirtschaft über die Politik, die Tendenz zur Deregulierung und zum Sozialabbau, führen zu einer Entsolidarisierung zwischen den Menschen, sie stärken den Egoismus und die Angst vor Ausländerinnen und Ausländern, die zu Unrecht als soziale und kulturelle Bedrohung empfunden werden. Der Rechtsextremismus ist auch deshalb erfolgreich, weil er die Sehnsucht nach Solidarität missbraucht, indem er sie im Nationalen einfordert, das heißt in unserem Land die "Solidarität" der Deutschen gegen alle Nichtdeutschen.

Doch auch Teile der deutschen Linken überzeugen mich nicht in ihrem Kampf gegen den Rechtsextremismus. Da gibt es einige linke Zeitungen, Sprecherinnen und Sprecher, die einen geradezu zähen Streit um die Frage führen, wer die wahren Antifaschistinnen und Antifaschisten in Deutschland sind, wobei jede Gruppierung genau dies für sich in Anspruch nimmt. Wer sich so verhält, wird faschistischen Entwicklungen niemals mit Erfolg entgegenwirken können. Anstatt im Vorgehen gegen solche Entwicklungen möglichst alle einzubeziehen, wird ausgesondert und sortiert und nur wenigen das Recht zugebilligt, sich antifaschistisch zu nennen und deshalb einen entsprechenden Kampf führen zu dürfen. Wer diesen zum Privileg erhebt, will ihn nicht gewinnen, sondern nur sich selbst als Avantgarde darstellen und hervorheben.

Es ist auf der einen Seite richtig, sich immer wieder zu überlegen, welche rassistischen, antisemitischen und fremdenfeindlichen Momente in einer Vielzahl von Menschen stecken. Man muss sich darüber im Klaren sein, um erfolgreich dagegen vorgehen zu können. Aber die Analyse darauf zu beschränken scheint mir ein großer Fehler zu sein. Es muss ebenso berücksichtigt werden, dass die meisten über Impulse verfügen, die sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit wenden, und es gilt, an diese Seite der Menschen zu appellieren und sie zu stärken. Die Mehrheit der Deutschen besteht nicht aus Faschisten und Antifaschisten, sondern aus Nichtfaschisten. Wenn die Antifaschisten nicht das Bündnis mit den Nichtfaschisten suchen, nehmen sie damit das Risiko in Kauf zu scheitern. Auch 1933 gab es mehr Antifaschisten und Nichtfaschisten als Nazis, und trotzdem erlebten die Antifaschisten eine vorhersehbare Niederlage, und zwar unter anderem deshalb, weil sie ein Zusammengehen mit Nichtfaschisten ablehnten und darüber hinaus einen unerbittlichen ideologischen Kampf gegeneinander führten. Reste der Sozialfaschismus-theorie, auf deren Basis deutsche Kommunistinnen und Kommunisten deutsche Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zu Faschisten erklärten, stecken noch heute in Teilen der Linken.

Leider gibt es immer wieder Äußerungen von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die eine kritische Auseinandersetzung hinsichtlich des Rechtsextremismus geradezu herausfordern. Das ändert aber nichts daran, dass man das Bündnis gegen Nazis so breit wie möglich organisieren muss, wenn es erfolgreich sein soll. Ich habe selbst 1998 eine Wahlkampfveranstaltung in Berlin-Marzahn erlebt, wo auf dem Podium Vertreter von CDU, SPD, F.D.P., Bündnis 90/DIE GRÜNEN und ich saßen. Das Publikum bestand zu einem großen Teil aus Anhängern der Union. Sie legten es darauf an, die Kontroverse in aller Schärfe gerade mit mir zu führen. Die Wahlkampfveranstaltung wurde aber dadurch gestört, dass Vertreter der NPD erschienen waren, die uns alle, die wir vorn auf dem Podium saßen, in einen Topf warfen und mit ihren rassistischen, antisemitischen und unerträglich nationalistischen Parolen herausforderten. Immer wieder versuchten die Anhänger der Union, der Veranstaltung einen anderen Charakter zu geben und mich und meine Partei an den Pranger zu stellen. Bei den NPD-Leuten hatten sie dennoch keine Chance. Irgendwann kippte die Atmosphäre im Saal. Der Spitzenkandidat der NPD in meinem Wahlkreis erklärte, es würde nicht mehr lange dauern, bis wir alle, wie wir da vorne säßen, verschwänden, das deutsche Volk würde uns fortjagen. Und in diesem Moment erklärte ich dann, dass sich die Vertreter der NPD keinen falschen Hoffnungen hingeben sollten. Sie würden uns hier zwar zerstritten und zur Gemeinsamkeit eher unfähig erleben, aber bevor sie an die Macht kamen, würden unsere fünf Parteien unter Vernachlässigung aller übrigen Widersprüche gemeinsam gegen sie vorgehen und ihre Politik unterbinden. Das war mehr Wunschdenken als die Beschreibung einer künftigen Realität. Dennoch bekam ich für diesen Satz sehr viel Beifall, auch von den Anhängern der Union im Saal.

Deshalb rege ich mich so auf, wenn bei einer Kundgebung gegen Rechtsextremismus der brandenburgische CDU-Innenminister Schönbohm ausgepfiffen wird oder wenn Veranstalter einer solchen Kundgebung einem CDU-Oberbürgermeister die Teilnahme untersagen. Was erwarten denn diejenigen, die sich derartig verhalten? Würde es ihrem Weltbild entsprechen, wenn der Innenminister Brandenburgs oder der CDU-Oberbürgermeister auf einer NPD-Kundgebung spräche? Ich bin froh darüber, dass sie nicht auf diese Idee kommen und sich stattdessen lieber auf einer Kundgebung gegen die NPD wenden. Und ich freue mich darüber, obwohl ich weiß, dass sie gerade in Bezug auf Ausländerinnen und Ausländer schon Sätze gesagt haben, die auch ich als Vorlage für Rechtsextremisten bezeichnen würde. Dennoch sind sie mit Sicherheit keine Nazis. Wenn ich also verhindern will, dass die Nazis in Deutschland immer mehr Oberwasser bekommem, dann muss ich diesbezüglich mit den Schönbohms und CDU-Bürgermeistern zusammenrücken, und zwar auch, um zu erreichen, dass sie künftig keine Sätze mehr äußern, die von Rechtsextremisten als Rechtfertigung ihres Handelns zu verstehen oder auch misszuverstehen sind. Der Kampf gegen Nazismus darf mithin kein Feld der Eigenprofilierung oder des Avantgardismus sein und schon gar nicht daran scheitern, dass Menschen höchst unterschiedliche Motive haben, an ihm teilzunehmen.

Es stört mich zwar, wenn Vertreter der Industrie und der Arbeitgeberverbände die Aufmärsche der Nazis vornehmlich mit der Begründung kritisieren, sie schadeten dem Ansehen der Bundesrepublik und damit auch dem Investitionsstandort Deutschland. Aber rechtfertigt ein solches Motiv, die Betreffenden von einem Bündnis gegen Nazis auszuschließen? Meines Erachtens nicht. Es war doch die Katastrophe der Zeit vor und nach 1933, dass viele Vertreter der deutschen Wirtschaft, auch wenn sie keine Nazis waren, in diesen einen Standortvorteil sahen, weil sie hofften, neue Märkte durch sie erschließen zu können. Wenn dagegen heute die Vertreter der Wirtschaft die Rechtsextremisten als Standortnachteil betrachten, dann ist das zwar für mich kein ausreichendes Motiv, gegen Nazis aufzutreten, aber ein beachtlicher Fortschritt gegenüber der Haltung der deutschen Wirtschaft um 1933 herum und sogar eine gewisse Garantie dafür, dass die Nazis nicht zu einem Machtfaktor werden können.

Ein junger Mitarbeiter der PDS-Fraktion erklärte einmal vor einer Demonstration gegen einen Naziaufmarsch, ihm missfiele es wenn sich ihr der Bäckermeister des Ortes anschlösse, da dieser erklärt habe, er wolle an ihr teilnehmen, weil die Aufmärsche der Nazis das Ansehen seiner Stadt schädigten. Er hatte nicht hinzugefügt, sicherlich aber gedacht, dass dies auch abträglich für sein Geschäft sei. Ich finde es wichtig, den Bäckermeister mitzunehmen, weil er sich gegen die Nazis stellen will. Gewissensprüfung und Motivationsforschung sollten dabei nicht die Aufgabe der Linken sein. Außerdem ist mir auch in diesem Falle immer noch lieber, der Bäckermeister sieht in den Nazis Leute, die das Ansehen seiner Stadt gefährden, als dass er der Meinung wäre, sie würden es erhöhen. Ich möchte jede Form von Arroganz in Fragen des Antifaschismus in der deutschen Linken überwunden sehen, aber auch das wird dauern.


Letzte Änderung: 05.10.2001 - os /
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