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22.10.2001 16:48 am Hauptbahnhof: Polizeiaufgebot zur Verdrängung Drogenabhängiger
Neue Ruhrzeitung 23.10.2001 (Essener Lokalteil)

Die eigentlichen Probleme werden nicht gelöst

HAUPTBAHNHOF / Die Polizei warnt vor zu hohen Erwartungen:

Eine absolut szenefreie Platte werde es nicht geben.

Während ihres ersten Sondereinsatzes am Hauptbahnhof bedient sich die Polizei modernster Foto- und Filmbeweistechnik, wie es im Fachjargon heißt, "um den Gesamteinsatz zu dokumentieren", erklärte der Leitende Polizeidirektor Helmut Janiesch gestern. Der Polizei ist in der Vergangenheit schließlich nicht erst einmal vorgeworfen worden, am Bahnhof nicht genügend durchzugreifen. Dass es nicht ganz so einfach ist, wie sich dies mancher in dieser Stadt vorstellen mag, machte Polizeipräsident Herbert Schenkelberg gestern noch einmal deutlich, auch um die nun begonnenen polizeilichen Aktionen transparenter und nachvollziehbarer zu machen.

"Ich habe es stets abgelehnt, das Problem Südplatte allein mit repressiven Mitteln anzugehen", sagte Schenkelberg gestern.

Unkontrollierte Verdrängung

Polizeiliche Maßnahmen allein hätten zwar zu einer Verdrängung der Szene führen können. Sie wäre aber unkontrolliert gewesen und hätte zur Folge gehabt, dass die Suchtkranken von den Hilfsangeboten, derer sie bedürfen, abgetrennt worden wären. Erst durch die Arbeit des Lenkungsrats Hauptbahnhof sei es möglich geworden, Hilfen und Polizeieinsätze aufeinander abzustimmen: "Deshalb sind die Maßnahmen jetzt zu verantworten", sagte Schenkelberg.

Sie haben zum Ziel, nun auch diejenigen zum Verlassen der Szene zu bewegen, "die trotz aller Bemühungen seitens der Sozialarbeiter und die trotz aller erweiterten Hilfsangebote im Stadtgebiet am Bahnhof geblieben sind". Genauso deutlich machte Schenkelberg aber, dass "die eigentlichen Probleme fortbestehen", auch wenn der Hauptbahnhof zukünftig entlastet werde. "Die Alkohol- und Drogensucht der Betroffenen und das Suchtverhalten vieler Kinder und Jugendlicher wird sich durch diese Aktion nicht verändern." Und die Randgruppen werden an anderen Orten in der Innenstadt oder in anderen Stadtteilen wieder auftauchen.

Erste Kritik am Einsatz

Dass der Bahnhof zukünftig absolut szenefrei sein könnte, bezweifelt Polizeidirektor Friedrich Koch: "Dass da Randgruppen bleiben werden, muss der Bürger aushalten können." Kritik an dem gestrigen Einsatz übte Grünen-Ratsherr Karlheinz Endruschat.

"So wie es gelaufen ist, war es eine Katastrophe." Nicht ein Sozialarbeiter sei zu sehen gewesen. Dass die Polizei Personendaten registrierte, sei nicht abgesprochen gewesen und die Beamten vor Ort hätten ihm signalisiert, sich bei dem Einsatz allein gelassen zu fühlen. Der Polizeipräsident betonte, sich an die Vorgaben des Datenschutzes zu halten. (j.m.)

Neue Ruhrzeitung 23.10.2001 (Essener Lokalteil)

Die Polizei ist sicher, "dass die Szene reagiert"

Am ersten Tag der Vertreibung hats sieben Festnahmen und zwei leicht verletzte Beamte gegeben. Alkoholiker und Drogenkranke tauchten in der Innenstadt wieder auf. Selbst die Szene scheint die Ungeduld gepackt zu haben. Aus der Entfernung beobachtet ein Grüppchen Drogenabhängiger und Alkoholkranker die Platte am Südausgang des Hauptbahnhofs. Wann werden die "Grünen" kommen? Es ist kurz vor zwölf Uhr und von dem angekündigten Polizeieinsatz zwecks Räumung des Vorplatzes (noch) nichts zu sehen. Bei Polizeipräsident Herbert Schenkelberg erkundigen sich Bürger gar via Telefon, was denn los sei. Die Erwartungen an den ersten Tag der sogenannten "Dislozierung" der Szene - der Volksmund nennts Vertreibung - sind hoch, so scheints.

Doch die Polizei hat vorgearbeitet, seit dem 1. September Aufklärung betrieben und weiß, wann die meisten Obdachlosen und Junkies am Hauptbahnhof anzutreffen sind: Nicht am Morgen, sondern am frühen Nachmittag beginnt folglich auch Phase III des im Lenkungsrat mühsam erarbeiteten Konsenses zur Räumung des Bahnhofs. Insgesamt 50 Beamte, davon 20 in Zivil, machen sich auf die Suche nach Dealern und Hehlern, nehmen aber auch die Personalien aller Hilfsbedürftigen auf der Platte auf. Das Polizeigesetz erlaubts: Wer sich nicht zum Zwecke des Reisens am Hauptbahnhof aufhält, muss sich Fragen zu seiner Identität gefallen lassen. Des Platzes verwiesen werden kann er aber erst, wenn ihm eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit zur Last gelegt wird. Die meisten scheinen freiwillig zu gehen. Fast zeitgleich verkündet Polizeidirektor Friedrich Koch, Leiter des Einsatzes, eine erste Bilanz:

Sieben Festnahmen wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz hats gegeben und zwei leicht verletzte Polizisten. Kurze Zeit später ist die Platte leer. Hie und da diskutiert noch ein Betrunkener mit den Einsatzkräften, die entspannt an ihren Mannschaftswagen lehnen, andere aus der Szene beobachten das Geschehen aus sicherer Entfernung von der Freiheit aus. Am Burgplatz hat sich das erste Grüppchen vertriebener Trinker wiedergefunden und auf der Kettwiger Straße fragt sich eine handvoll Drogenabhängiger, wo sie denn jetzt ihren Stoff herbekommen. Wo aber sind die übrigen der rund 80 Szenegänger abgeblieben? Am ersten Tag gibts Achselzucken bei den Hilfsorganisationen und auch bei der Polizei keine Erkenntnisse über Wanderungsbewegungen. Man müsse wohl noch ein paar Tage abwarten, heißts. Weder das Arztmobil, noch die Beratungsstelle der Diakonie oder Bahnhofsmission haben mehr Hilfesuchende registriert. "Die sind wohl in die City gegangen", heißt es unisono. Das, was die Polizei gestern getan hat, wird sie nun jeden Tag tun. Wenns sein muss über Jahre, kündigte Schenkelberg an. "Wir werden früh am Tag aufklären, was ist los und dann den bestmöglichen Einsatzpunkt wählen", sagte Koch: "Ich bin mir sicher, dass die Szene reagiert."

JÖRG MAIBAUM

Letzte Änderung: 24.10.2001 - os
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