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Deutscher Bundestag

14. Wahlperiode

Drucksache

19.06.2001

Große Anfrage

der Abgeordneten Ulla Lötzer, Eva Bulling-Schröter, Rolf Kutzmutz, Klaus Grehn, Pia Maier, Gerhard Jüttemann, Ilja Seifert und der Fraktion der PDS

Sicherung sozialer und tariflicher Standards im nationalen und europäischen Wettbewerbsrecht sowie zur Stellung der kommunalen Selbstverwaltung und der öffentlichen Daseinsvorsorge im Wettbewerbs- und Vergaberecht der Europäischen Union

I. Vergaberechtliche Regelungen des Bundes

Aufgrund der Konkurrenz von nicht an die einschlägigen Flächentarifverträge am Ort der Leistungserbringung gebundenen Unternehmen sind die tariflichen Einkommensstandards der Beschäftigten in der Bauwirtschaft, aber auch der 250.000 Beschäftigten des öffentlichen Personennahverkehrs, in den vergangenen Jahren massiv unter Druck geraten. Diese Entwicklung trägt massiv zur Aushöhlung des Flächentarifvertrages und der Tarifautonomie bei. Die Gewerkschaften, insbesondere die ÖTV/ver.di und IG BAU setzen sich deshalb seit langem für ein Vergabegesetz ein, mit dem die Einhaltung tariflicher Standards als Bedingung für die Vergabe öffentlicher Aufträge zwingend vorgeschrieben wird. Auch Interessenverbände der mittelständischen Bauwirtschaft haben sich für ein solches Gesetz ausgesprochen, da die von ihnen vertretenen Unternehmen durch die Aushöhlung der Funktion des Flächentarifvertrages als Schutz vor Konkurrenz durch Lohndumping in ihrer Existenz gefährdet sind.

Am 27. September 2000 hat der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Siegmar Mosdorf, im Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf der Bundesregierung angekündigt, der "insbesondere die Zuverlässigkeit der zu öffentlichen Aufträgen zuzulassenden Unternehmen konkretisiert". Dazu führte er aus: "Zu diesem Zweck soll von Unternehmen unter anderem die Erklärung verlangt werden, dass sie als Bewerber oder Anbieter keinen Verstoß gegen sie verpflichtende Tarifverträge begehen". In der Begründung des von den Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen am 8. 2. 2001 in den Deutschen Bundestag eingebrachten Antrages 'Eckpunkte zur Verbesserung der Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit' (Ds. 14/5270) wird festgestellt: "Eine Vorbildfunktion kommt der öffentlichen Hand zu, die nicht nur als Gesetzgeber, sondern auch als Bauherr in besonderem Maße auf die Einhaltung tariflicher Bestimmungen achten muss. Die Vergabegesetze von Bund und Ländern müssen deshalb diesen Zielvorgaben Rechnung tragen".

Auf dem Gründungskongress der Gewerkschaft ver.di am 21. 3. 2001 kündigte Bundeskanzler Schröder erneut konkret eine Überprüfung des Vergaberechts in Absprache mit den Ländern an und erklärte: "Viele Menschen befürchten Lohndumping und die Missachtung tariflicher Standards - eine Situation, wie sie bereits in der Bauwirtschaft bedauerliche Realität ist. Deshalb habe ich in der vergangenen Woche beim Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft gesagt, wir müssen uns dem Grundsatz der Tariftreue öffnen". In einem Gleichstellungsgesetz beabsichtigte Frau Ministerin Bergmann öffentliche Aufträge an Frauenförderung zu koppeln.

In der Zwischenzeit sind jedoch seitens der Bundesregierung keine Initiativen erkennbar geworden. Obwohl die Koppelung der Vergabe öffentlicher Aufträge an die Förderung der Beschäftigung von Frauen als Bestandteil des Koalitionsvertrages erklärtes politisches Ziel der Bundesregierung war, wurden auch die Vorschläge von Frau Bergmann in einem Spitzengespräch im Kanzleramt abgelehnt. Mehrfach hat sich Wirtschaftsminister Müller gegen die Verknüpfung der Auftragsvergabe an "sachfremde Kriterien" ausgesprochen. Diese Stellungnahme bezog sich sowohl auf tarifliche, arbeits- und sozialrechtliche Standards, wie auch zuletzt auf die Verknüpfung mit Frauenförderung. Unterstützung erhielt er nach Angaben des Tagsspiegels vom 3.4.2001 auch vom wirtschaftspolitischen Sprecher der Grünen, Werner Schulz, und von Kanzleramtsminister Schwanitz.

Währenddessen bestimmen mit der Androhung der Flucht aus dem Tarifvertrag begleitete Forderungen wie die des Vorstandes der Wuppertaler Stadtwerke nach einer 'freiwilligen' Lohnabsenkung um bis zu 30 % für die dortigen Busfahrer, den Alltag in kommunalen Dienstleistungsunternehmen. "Es kann nicht sein, dass Busfahrer zum Sozialhilfesatz fahren", kommentierte der dortige Betriebsratsvorsitzende Jürgen Diederichs zu Recht diesen Vorgang und forderte erneut ein Vergabegesetz zum Schutz sozialer und tariflicher Standards. Eine vergaberechtliche Verpflichtung zur Tariftreue ist zur Wiederherstellung der Konfliktfähigkeit der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ihrer Interessenvertretungen und Gewerkschaften dringend erforderlich.

Das erhebliche ökonomische Gewicht öffentlicher Aufträge, die immerhin rund 13 % des Bruttosozialproduktes ausmachen, kann nach dem Auslaufen der in der 6. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen festgeschriebenen Übergangsfrist am 30.6.2000 nur noch dann für die Erreichung von gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Zielsetzungen wie der Förderung der Erwerbsbeteiligung und Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben als Bestandteil einer konsequenten Gleichstellungspolitik, der Bekämpfung der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit sowie der Förderung der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen genutzt werden, wenn entsprechende Regelungen in Vergabegesetzen des Bundes oder der Länder getroffen werden.

 

Wir fragen die Bundesregierung:

  1. Wann ist mit einem Ergebnis der von Bundeskanzler Schröder auf dem Gründungskongress der Gewerkschaft ver.di am 21.3.2001 öffentlich angekündigten Überprüfung des Vergaberechts zu rechnen? Welche Prüfungen werden dabei erwogen? Welche Absprachen gibt es dazu mit den Ländern? Welche Schritte beabsichtigt die Bundesregierung zur "Öffnung gegenüber dem Grundsatz der Tariftreue"?
  2. Welche Position bezieht die Bundesregierung zu der Auffassung, tarifliche, arbeits- und sozialrechtliche Standards seien "sachfremde Kriterien" in der Auftragsvergabe? Welche Kriterien hält die Bundesregierung in der öffentlichen Auftragsvergabe für maßgeblich? Wie begründet die Bundesregierung ihre Auffassung dazu?
  3. Welche Haltung bezieht die Bundesregierung zur Verknüpfung von Maßnahmen zur Frauenförderung und Ausbildung mit der öffentlichen Auftragsvergabe im Vergabegesetz und wie begründet sie ihre Haltung?
  4. Gibt es aus Sicht der Bundesregierung wirksame Alternativen zu einem Vergabegesetz mit Verpflichtung zur Tariftreue, um die damit verbundenen Ziele einer sozialen Gestaltung des Wettbewerbes rechtsverbindlich zu erreichen, wenn ja, welche, und welche Schritte zu deren Prüfung und Realisierung wurden bislang eingeleitet ?
  5. Wie bewertet die Bundesregierung die im Tagesspiegel vom 2. 4. 2001 zitierte Auffassung des wirtschaftspolitischen Sprechers der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, Werner Schulz, der von einem Vergabegesetz "gravierende Nachteile für die Ost-Betriebe" erwartet, und befürchtet, dass dann die "Trennungslinien zwischen Ost und West auf fatale Weise verfestigt werden?"
  6. Welche Schritte zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung auf dem Bau wurden auf dem Gipfelgespräch mit der Bauwirtschaft und der Gewerkschaft IG Bau vereinbart?
  7. Wie bewertet die Bundesregierung die Auffassung, dass die Erteilung von Konzessionen für den Betrieb von Linien des öffentlichen Nahverkehrs nach dem Personenbeförderungsgesetz eine gewerberechtliche Erlaubnis darstellt, und welche Konsequenzen zieht sie daraus insbesondere hinsichtlich der Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts auf diese Rechtsakte ?
  8. Welche Zielsetzung verfolgt die Bundesregierung mit der am 29.5.2001 beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie unter Beteiligung der Tarifparteien konstituierten Arbeitgruppe und wann ist die Vorlage eines Arbeitsergebnisses vorgesehen ?
  9. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung zu der Forderung der Behindertenverbände, dass öffentliche Verkehrsmittel (Bus, Bahn, Schiff, Flugzeug) nur dann die Bezeichnung "öffentlich" verdienen, wenn sie von jedem Fahrgast diskriminierungsfrei genutzt werden können ?
  10. Welche Regelungen bzw. Standards sollten die Vergaberichtlinien nach Ansicht der Bundesregierung vorsehen, um im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr eine diskriminierungsfreie Beförderung aller Fahrgäste zu gewährleisten?
  11. II. Verhalten der Bundesregierung zu Initiativen der Bundesländer und des Bundesrates

    Verschiedene Bundesländer haben im Verlauf des letzten Jahres dringenden Handlungsbedarf hinsichtlich eines Vergabegesetztes deutlich gemacht. Bereits am 27./28.9.2000 hatten die Verkehrsministerkonferenz der Länder beschlossen, die Bundesregierung um eine Überprüfung der Problematik unter Einbeziehung der Länder zu bitten. In diesem Beschluss stellen die Verkehrsminister und -senatoren der Länder ausdrücklich fest, "dass Ausschreibungen neben betrieblichen und technischen Qualitätsstandards auch arbeits- und sozialrechtliche Kriterien einbeziehen müssen". In seiner 758. Sitzung vom 21.12.2000 beschloss der Bundesrat eine Stellungnahme (Ds. BR 649/00), in der er ausdrücklich feststellt: "Das erreichte arbeits- und sozialrechtliche Qualitätsniveau in den betroffenen Betrieben soll beibehalten werden. So ist eine rechtliche Grundlage zu schaffen, die vorsieht, dass in Ausschreibungen auch arbeits- und sozialrechtliche Kriterien einzubeziehen sind".

    Auf Antrag der Länder Bayern und Baden-Württemberg beschloss der Deutsche Bundesrat am 21.12.2000 einstimmig eine Initiative, die vorsieht, die Einhaltung tariflicher Standards zur Voraussetzung für die Vergabe öffentlicher Aufträge auf dem Wege einer Änderung von § 5 Tarifvertragsgesetz in Anlehnung an das bewährte Verfahren zur Allgemein-verbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen verbindlich festzuschreiben. Am 24.4.2001 schließlich hat die Landesergierung von Nordrhein-Westfalen einen eigenen Entwurf für ein Bundesvergabegesetz vorgestellt, der zum Gegenstand einer erneuten Bundesratsinitiative wird.

     

    Wir fragen die Bundesregierung:

  12. Welche Ergebnisse hat die von der Verkehrsministerkonferenz der Länder im September 2000
  13. erbetene gemeinsame Prüfung der Problematik eines Vergabegesetzes durch die Bundesregierung und die Länder erbracht und welche gesetzlichen Maßnahmen wurden dabei erwogen?

  14. Sind gegenüber der Bundesregierung im Rahmen dieser Prüfung seitens der Länder mögliche Hinderungsgründe für eine Regelung der Tariftreue im Vergabegesetz geltend gemacht worden, wenn ja, welche? Welche Haltung nimmt die Bundesregierung dazu ein und welche Konsequenzen zieht sie daraus für eine erneute Prüfung im Zusammenwirken von Bund und Ländern, wie sie von Bundeskanzler Schröder auf dem ver.di-Kongress angekündigt wurde?
  15. Sieht die Bundesregierung besondere Hinderungsgründe hinsichtlich landesrechtlicher Regelungen für die Bevorzugung von Bietern, die zur Realisierung gesellschafts- und arbeitsmarktpolitischer Zielsetzungen beitragen; wenn ja, welche und wie begründet sie diese angesichts der in § 94 GWB explizit gleichrangigen Behandlung von Bundes- und Landesgesetzen?
  16. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zu der in einem im Auftrag des DGB erstellten Gutachten anlässlich des vor dem BGH angestrengten Verfahrens gegen das Vergabegesetz des Landes Berlin vertretenen Auffassung, die Praktizierung einer Tariftreueerklärung durch den öffentlichen Auftraggeber gehe weniger weit als eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen, die vom Bundesverfassungsgericht bereits für verfassungskonform erklärt wurde, und welche Konsequenzen zieht sie aus dieser Haltung?
  17. Welche Haltung hat die Bundesregierung zu der in der Bundesratsinitiative vorgeschlagenen Neufassung von § 5 Tarifvertragsgesetz, wie begründet sie diese Haltung und welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
  18. Welche Haltung hat die Bundesregierung zu der in dem Gesetzentwurf der Landesregierung NRW vorgeschlagenen Regelung, öffentliche Bauaufträge und Verkehrsleistungen im ÖPNV nur an Unternehmen zu vergeben, die sich bei Angebotsabgabe verpflichten, "ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Ausführung dieser Leistungen nach den für sie am Ort der Auftragsausführung einschlägigen Tarifverträgen zu entlohnen, tarifliche Sonderzahlungen zu erbringen und dies auch von ihren Nachunternehmen zu verlangen", und wie begründet sie diese?
  19.  

     

    III. Verhalten der Bundesregierung zu wettbewerbsrechtlichen Regelungen der EU

    Insbesondere im öffentlichen Nahverkehr verweisen Kommunen und kommunale Unternehmen zur Begründung der Forderung nach drastischen Einkommensabsenkungen, verbunden mit der Ankündigung weit reichender Einschränkungen des ÖPNV-Angebotes, auf die bislang erst im Entwurf vorliegenden Verordnung der Europäischen Union zur Regelung des Wettbewerbs im Verkehrsbereich (Vorschlag des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen der Mitgliedsstaaten im Zusammenhang mit Anforderungen des öffentlichen Dienstes und der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für den Personenverkehr auf der Schiene, der Straße und auf Binnenschifffahrtswegen (Kom (2000) 7 endg. v. 26. 7. 2000.)). Weiterhin sind in diesem Zusammenhang die Vorschläge für Richtlinien des Europäischen Parlamentes und des Europäischen Rates für die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge bzw. über die Koordinierung der Auftragsvergabe im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung (Kom (2000) 275 bzw. 276) von Bedeutung.

    Bei der Jahrestagung des Verbandes deutscher Verkehrsunternehmen am 23.5.2000 setzte sich Bundeskanzler Schröder dafür ein, "arbeits- und sozialrechtliche Qualitätsstandards auch in einem liberalisierten Markt zu erhalten". In einer gemeinsamen Erklärung vom 24.8.2000 zur EU-Verordnung stellten die Gewerkschaft ÖTV, der Deutsche Städtetag und die im Verband deutscher Verkehrsunternehmen zusammengeschlossenen kommunalen Verkehrsunternehmen fest: "Gut ausgebildetes und qualifiziertes Personal stellt gerade im Dienstleistungsbereich das eigentliche und entscheidende Kapital der öffentlichen Unternehmen dar. Dieses darf durch den Wettbewerb nicht gefährdet werden. Daher unterstützen DST, VdV und ötv die Bundesratsinitiativen Bayerns und Nordrhein-Westfalens für die Erweiterung des Bundesvergaberechts mit dem Ziel der Absicherung arbeits- und sozialrechtlicher Standards."

    Am 16. März 2001 bekräftigten auf einer gemeinsamen Pressekonferenz die Vorsitzenden der Gewerkschaften ver.di, IG BAU und NGG, Frank Bsirske, Klaus Wiesehügel und Frank Möllenberg mit Bezug auf die EU-Osterweiterung die gewerkschaftliche Forderung nach einer rechtlichen Absicherung tariflicher Standards in der EU und die Umsetzung in einem Vergabegesetz.

     

    Wir fragen die Bundesregierung:

  20. Stehen aus Sicht der Bundesregierung Regelungen des Europäischen Wettbewerbsrechts einer Bindung der Auftragsvergabe an Tariftreue in einem nationalen Vergabegesetz grundsätzlich entgegen, welche Regelungen sind dies im Einzelnen und welche Position hat die Bundesregierung dazu innerhalb der Europäischen Union vertreten?
  21. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zu der Auffassung, es sei angesichts der im Entwurf der EU-Verordnung für den Personenverkehr (Kom (2000) 7 endg.) als Regelfall vorgesehenen Ausschreibungsverpflichtung wichtig, dass neben betrieblichen, technischen und umweltrelevanten Standards auch arbeits- und sozialrechtliche Qualitätsniveaus einbezogen werden können, um den Aufgabenträgern die rechtliche Grundlage zur Erfüllung ihrer gesamtpolitischen Verantwortung zu geben? Welche Position vertritt sie dazu in den Verhandlungen der Europäischen Union?
  22. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zu der Auffassung der Europäischen Verkehrsgewerkschaften, dass die Einhaltung tariflicher und sonstiger sozial- und arbeitsrechtlich geschützter Arbeitsbedingungen als verbindliches Kriterium für die Wettbewerbsteilnahme in Art.4, Abs. 2 von Kom (2000) 7 endg. aufgenommen werden soll, und welche Position vertritt sie dazu in den Verhandlungen in der Europäischen Union?
  23. Wie bewertet die Bundesregierung die Auffassung, dass in den sog. Koordinierungsrichtlinien für die öffentliche Auftragsvergabe (Kom (2000) 275 bzw. 276 endg.) mit der in Art. 27 bzw. 38 in Form von Kann-Bestimmungen enthaltenen Möglichkeit, die Einhaltung von Arbeitsschutz und -bedingungen sowie die Erfüllung beschäftigungspolitischer Zielsetzungen durch die Bieter durch einzelstaatliche Rechtsetzung zur Bedingung der Teilnahme am Wettbewerb zu erklären, die Vereinbarkeit eines Vergabegesetzes mit Tariftreueerklärung mit europäischem Wettbewerbsrecht bestätigt wird, und welche Konsequenzen zieht sie daraus?
  24. Wie bewertet die Bundesregierung die Auffassung, dass eine verbindliche rechtliche Regelung durch einzelstaatliches Recht die Voraussetzung für die Wahrnehmung der in Frage 18 umrissenen Möglichkeit ist, bis zu welchem Zeitpunkt wäre eine solche Regelung erforderlich, welche Schritte zur Wahrnehmung dieser Option hat die Bundesregierung eingeleitet bzw. aufgrund welcher Überlegungen hat die Bundesregierung solche Schritte unterlassen?
  25.  

  26. Wie bewertet die Bundesregierung die insbesondere in den Erwägungsgründen 22 (275) bzw. 32 (276) dieser Europäischen Koordinierungsrichtlinien ausdrücklich erfolgte Öffnung des Vergaberechts für beschäftigungspolitische Zielsetzungen hinsichtlich einer Bevorzugungsregelung im nationalen Vergaberecht und welche Konsequenzen zieht sie daraus?
  27. Welche Haltung hat die Bundesregierung zu den in den Fragen 18 und 20 angesprochenen einschlägigen Regelungen im Rahmen der Europäischen Union eingenommen, welche Modifikationen hat sie dazu mit welchem Ergebnis vorgeschlagen und welche weiteren Schritte beabsichtigt sie zur Verankerung arbeits- und sozialrechtlicher Qualitätsstandards im Recht der Europäischen Union?
  28. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zu der in einer Pressemitteilung der IG BAU vom 14.3. 2001 vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung geäußerten Befürchtung, Unternehmen aus den Beitrittsländern könnten aufgrund der Dienstleistungsfreiheit zu ihren erheblich niedrigeren Beschäftigungs- und Steuerbedingungen in Deutschland Dienstleistungen anbieten und so zur weiteren Absenkung sozialer Standards und Arbeitseinkommen beitragen, und der dort geforderten sozialen Abfederung der Osterweiterung der Europäischen Union, welche Konsequenzen zieht sie daraus und welche Maßnahmen zum Schutz arbeits- und sozialrechtlicher, tariflicher und gewerkschaftlicher Standards hält sie für erforderlich?
  29. Wie bewertet die Bundesregierung die möglichen Auswirkungen einer EU-Osterweiterung auf den deutschen Arbeitsmarkt und hinsichtlich der Gefahr einer Zunahme ausländerfeindlicher Einstellungen in der Bevölkerung, wenn Arbeitnehmer aus den Bewerberländern in Deutschland zu Heimatlohnbedingungen arbeiten und welche Konsequenzen zieht sie daraus?
  30.  

    IV. Auswirkungen des Europäischen Wettbewerbsrecht auf die öffentliche Daseinsvorsorge, insbesondere den öffentlichen Personennahverkehr und die kommunale Selbstverwaltung

     

    Über den unmittelbaren Problembereich des Vergaberechts hinaus enthalten die oben angeführten Dokumente der Europäischen Kommission sowie Mitteilung der Kommission über Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa" vom 20.9.2000 (Kom (2000) 580 endg.) Grundsatzpositionen und Verfahrensregelungen für Kernbereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge, deren Umsetzung zu tief greifenden Umwälzungen hinsichtlich sozialer Standards, aber auch hinsichtlich der Stellung kommunaler und anderer öffentlicher Versorgungsunternehmen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge führen würden. Neben einer Vielzahl konkreter Verfahrensregelungen für den Verkehrsbereich, die von den kommunalen Spitzenverbänden und den kommunalen Verkehrsunternehmen als akute Gefährdung ihres Fortbestands unter Wettbewerbsbedingungen bewertet werden, werfen sie grundlegende Fragen nach dem Verhältnis von europäischem Wettbewerbsrecht und dem Verfassungsgrundsatz der kommunalen Demokratie auf, die zumindest in der Fachöffentlichkeit und auch im Europäischen Parlament bereits diskutiert werden.

    Bundeskanzler Schröder hatte bereits am 23.5.2000 vor der Jahrestagung des Verbandes deutscher Verkehrsunternehmen das gesellschaftliche Interesse am Erhalt der "über viele Jahre gewachsenen und auch bewährten Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge" zur "Sicherung der gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen von allgemeinem Interesse" betont. Die kommunalen Spitzenverbände weisen jedoch in einem Schreiben an Bundesfinanzminister Eichel vom 13.11.2000 besorgt auf die Rechtsunsicherheit kommunaler Versorgungsunternehmen hin. Sie kritisieren insbesondere, dass durch die europäische Kommission "eine gleichgewichtige Berücksichtigung der Aspekte des Wettbewerbs und des Gemeinwohls nicht erfolgt" ist. Ausdrücklich stellen sie fest: "Die Aussagen der Kommission gefährden damit die den Kommunen garantierte Eigenverantwortlichkeit, wonach die Kommunen selber entscheiden können müssen, wie sie ihre Daseinsvorsorgeaufgaben erledigen".." Angesichts der durch diese in der europäischen Union anhängigen Entscheidungsprozesse gegebenen zusätzlichen Dringlichkeit fragen wir die Bundesregierung:

  31. Welche Folgen erwartet die Bundesregierung für die wirtschaftliche Entwicklung und den Fortbestand kommunaler Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs und die Einkommensniveaus der dort Beschäftigten von einer Umsetzung des Entwurfs der Europäischen Kommission (Kom (2000) 7 endg). in der vorliegenden Form?
  32. Hält die Bundesregierung diesen Entwurf in der vorliegenden Form für zustimmungsfähig; und welche Verhandlungsposition vertritt sie dazu in der Europäischen Union?
  33. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zu der übereinstimmenden Auffassung von Gewerkschaften, kommunalen Spitzenverbänden und Fachverbänden, dass die in Artikel 17 des Verordnungsentwurfes der Kommission vorgesehene Übergangsfrist von drei Jahren zu kurz ist, um die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere kommunaler Verkehrsunternehmen sicherzustellen, für welche Fristverlängerungen und weitere Übergangsregelungen hat sie sich im Rahmen der Europäischen Union mit welchem Erfolg eingesetzt?
  34. Welche weitergehenden oder alternativen Vorstellungen verfolgt die Bundesregierung zur Sicherung des Bestandes kommunaler Nahverkehrsunternehmen beim Übergang zum europäischen Wettbewerb?
  35. Welche Verhandlungsposition vertritt die Bundesregierung zu der Frage, ob der Geltungsbereich der Richtlinie auf den öffentlichen Personennahverkehr beschränkt werden sollte, und wie begründet sie diese?
  36. Welche Klarstellungen hält die Bundesregierung in Art. 2 des Kommissionsentwurfes hinsichtlich der in Frage 5 angesprochenen Bewertung einer Konzessionserteilung als gewerberechtlicher Erlaubnis für erforderlich?
  37. Welche weiteren Veränderungen oder Klarstellungen in Art. 2 des Kommissionsentwurfes hält die Bundesregierung für erforderlich?
  38. Welche Verhandlungsposition vertritt die Bundesregierung hinsichtlich einer Erweiterung des Begriffes der 'integrierten Dienste' in Art. 3, Buchst. d) des Verordnungsentwurfes, mit der sichergestellt wird, dass die in den Ballungsgebieten der Bundesrepublik verbreiteten Verkehrsverbünde nicht von der Direktvergabeoption ausgeschlossen werden?
  39. Hält die Bundesregierung die in Artikel 6, Buchst. c) des Verordnungsentwurfes genannte Laufzeitbegrenzung angesichts der durchschnittlichen Amortisationsdauer von 8 Jahren für Busse und 25 Jahren für O-Busse und Schienenfahrzeuge für angemessen oder setzt sie sich für eine entsprechende Verlängerung dieser Fristen ein?
  40. Wie bewertet die Bundesregierung die in Art. 9, Abs. 1. vorgesehene Möglichkeit der Verpflichtung zur Unterauftragsvergabe hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit Regelungen des nationalen Wettbewerbsrechts und hinsichtlich des Ziels der Erhaltung wettbewerbsfähiger kommunaler Unternehmen und welche Position zu dieser Frage vertritt sie in der europäischen Union?
  41. Welche Position vertritt die Bundesregierung zu der Auffassung, dass die in Art. 9, Abs. 2 vorgesehene Möglichkeit zum Ausschluss von Unternehmen bei einem Marktanteil von 25 % angesichts der Möglichkeiten zur Beschränkung des Missbrauches wirtschaftlicher Macht im geltenden Wettbewerbsrecht nicht erforderlich ist, und welche Konsequenzen folgen daraus?
  42. Setzt sich die Bundesregierung in der Europäischen Union für die Forderung der europäischen Verkehrsgewerkschaften ein, dass die in Art. 9, Abs. 3 enthaltene Schutzklausel für die Beschäftigten zu einer Muss-Bestimmung umzuwandeln ist und um eine Zumutbarkeitsklausel für die Arbeitnehmer abhängig von der tariflichen Bindung des übernehmenden Unternehmens erweitert werden sollte, und wenn nein, warum nicht?
  43. Wie bewertet die Bundesregierung die in Art. 10 b) festgeschriebene Begrenzung der Ausgleichsbeträge auf 20 % der Gesamtkosten in der Bundesrepublik hinsichtlich der Befürchtungen, dass eine solche Begrenzung zu einer deutlichen Absenkung der qualitativen Standards im ÖPNV sowie einer Einschränkung politisch gewollter Freifahrt- und Niedrigtarifregelungen z.B. im Ausbildungs- und Behindertenverkehr führen würde, und welche Verhandlungsposition nimmt sie dazu in der Europäischen Union ein?
  44. Welche Alternativen zur finanziellen Sicherung der qualitativen Standards und der sozialen Funktion der Mobilitätssicherung durch den ÖPNV sieht die Bundesregierung im Falle einer solchen Begrenzung?
  45. Wie bewertet die Bundesregierung die Auffassung, dass die in Frage 35 angesprochenen Ausgleichszahlungen für ermäßigte Tarife wettbewerbsrechtlich als Ersatz entgangener Einnahmen und nicht als Subvention zu behandeln sind, und die von der Kommission vorgeschlagene Regelung keine wettbewerbsrechtliche Relevanz hat, da die entsprechenden Zahlungen ohnehin bewerberneutral gewährt werden?
  46. Welche Haltung und Verhandlungsposition vertritt die Bundesregierung zu der Auffassung, dass in Artikel 12 die zuständigen Stellen ausdrücklich das Recht zu Nachverhandlungen mit den Bietern erhalten sollten, und die Informationspflichten zur Begrenzung des Verwaltungsaufwandes auf die Bieter beschränkt werden sollten, die sich bereits vorqualifiziert haben?
  47. Welche Auswirkungen hinsichtlich der in den Kommunen bislang praktizierten Quersubventionierung des öffentlichen Nahverkehrs durch Überschüsse andere kommunaler Versorgungsunternehmen erwartet die Bundesregierung aufgrund der vorliegenden Verordnung; welche Initiativen hat sie zur Sicherung dieses bewährten kommunalen Finanzierungsinstrumentes ergriffen und wie bewertet sie deren Durchsetzbarkeit innerhalb der Europäischen Union?
  48. Welche Auswirkungen des vorliegenden Verordnungsentwurfes erwartet die Bundesregierung hinsichtlich des stadtplanerisch und ökologisch sinnvollen Aus- bzw. Aufbaus von kommunalen Strassen- und U-Bahn-Netzen, und welche Regelungen hält sie für erforderlich, um zu verhindern, dass der Ausbau solcher Netze durch kurzfristige Kostenvorteile von Busverkehren absichtlich oder unabsichtlich behindert wird?
  49. Wie bewertet die Bundesregierung eine verbindliche Verpflichtung der Kommunen zur Ausschreibung von Nahverkehrsdienstleitungen durch Sekundärrecht der Europäischen Union hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem grundgesetzlich garantierten Recht auf kommunale Selbstverwaltung in Bezug auf das Recht der kommunalen Gremien, sich auf Grundlage der Subsidiarität politisch für ein nicht kommerzielles Vorgehen zu entscheiden?
  50. Welche Rechtsgrundlage sieht die Bundesregierung für den von der Europäischen Kommission vorgesehenen Eingriff in das im PBefG eröffnete Wahlrecht der Aufgabenträger und Eigentümer von Verkehrsunternehmen, eigenwirtschaftliche Verkehre zu ermöglichen oder gemeinwirtschaftliche Verkehre zu erbringen und inwieweit hält sie den Ausschluss der Option der Direktvergabe zur Sicherung der Daseinsvorsorgeaufgabe für zulässig?
  51. Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zu der vom Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Union vertretenen Auffassung ein, dass den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in Art. 7 das Recht eingeräumt werden sollte, selbst festzulegen, ob Verkehrsleistungen direkt vergeben oder ausgeschrieben werden, sofern sie diese als Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge im Sinne der Mitteilung der Kommission (Kom (2000) 580 v. 20.9. 2000) definieren und welche Verhandlungsposition vertritt sie dazu in der Europäischen Union?
  52. Wie bewertet die Bundesregierung die Rechtsauffassung, dass die faktische Beschränkung des Anwendungsbereichs von zulässigen Beihilfen auf den Bereich des Art. 73 EGV in einem Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission Souveränitätsvorbehalten der Mitgliedsstaaten durch den Ausschluss allgemein und nach Art. 86 Abs. 2 EGV zulässiger Beihilfen widerspricht, und welche Konsequenzen zieht sie daraus?
  53. Welche gemeinschaftsrechtlichen Klarstellungen hinsichtlich der Zulässigkeit staatlicher Leistungen zur Sicherung des ÖPNV sind aus Sicht der Bundesregierung erforderlich, um den öffentlichen Daseinsvorsorgeauftrag des ÖPNV auch hinsichtlich umwelt- und klimapolitischer Zielsetzungen umfassend gewährleisten zu können, und welche Vorschläge hat die Bundesregierung dazu in der Europäischen Union vorgebracht?

 

 

Berlin, den 17. Mai 2001

 

Ursula Lötzer

Eva Bulling-Schröter

Rolf Kutzmutz


Letzte Änderung: 05.10.2001 - nn
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