Rechtsanwältin Dr. Natalie Michels
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Essen, 8. Mai 2001

Gutachten: Zulässigkeit der Versendung von Briefen an Sportvereine

durch den Bürgermeister, in denen dieser sich gegen das mit dem

Bürgerentscheid verfolgte Ziel der Bädererhaltung wendet

 

 

I. Sachverhalt und Fragestellung

Etwa zwei Wochen vor der Durchführung des Bürgerentscheides zum Thema der Bäderschließung in Essen versandte der Oberbürgermeister ein Schreiben an etwa 600 Sportvereine, in dem er sich für die Schließung der Bäder aussprach und seine Argumente hierfür darlegte.

Fragestellung ist, ob ein solches Vorgehen von seiten der Kommunalverwaltung zulässig ist.

 

II. Rechtliche Würdigung

Generell ergibt sich für die Kommunalverwaltung aus der Gesamtheit ihrer Aufgaben auch ein Recht zur Öffentlichkeitsarbeit. Dieses Recht unterliegt jedoch auch Grenzen, die durch das Vorgehen des Oberbürgermeisters überschritten worden sind.

Das Vorgehen des Oberbürgermeisters ist nicht durch § 41 Abs. 3 der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung (GO) gedeckt, nach dem er die Aufgabe hat, die Bürger laufend über die allgemeinen Verwaltungsvorgänge zu unterrichten. Bei der Frage der Bäderschließung handelt es sich nicht bloß um einen allgemeinen Verwaltungsvorgang i.S.d. § 41 Abs. 3 GO, so dass diese Norm schon von vornherein die Verfahrensweise nicht decken kann.

Auch die Aufgabennorm des § 23 Abs. 1 GO, nach der der Rat die Bürger über bedeutungsvolle Entscheidungen für die weitere Entwicklung der Gemeinde unterrichtet, die wegen der besonderen Bedeutung das Interesse der Öffentlichkeit beanspruchen, kann der Oberbürgermeister im vorliegenden Fall nicht für sich in Anspruch nehmen. Zwar handelt es sich bei der Angelegenheit der Bäderschließung um eine solche bedeutungsvolle Entscheidung und der Oberbürgermeister erfüllt die Informationsverpflichtung im Rahmen der Vertretung des Rates nach außen (§ 40 Abs. 2 S. 2 GO), jedoch sieht § 23 GO eine allgemeine Unterrichtung der Öffentlichkeit vor. Eine solche liegt in dem Handeln des Bürgermeisters nicht. Zum einen handelt es sich bei dem Schreiben nicht um eine bloße Unterrichtung, sondern vielmehr um das ausdrückliche Eintreten für einen bestimmten Standpunkt, sogar um einen Aufruf zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten. Zum anderen ist das Schreiben nicht etwa an alle Haushalte im Sinne einer umfassenden Verbreitung verteilt worden, sondern vielmehr nur an gezielt ausgewählte interessierte Gruppen, nämlich Sportvereine. Des weiteren findet sich keinerlei Hinweis in dem Schreiben, dass hier der Oberbürgermeister für den Rat handeln würde.

Es finden daher die allgemein durch Gesetze und Rechtsprechung gesetzten Grenzen für die Öffentlichkeitsarbeit Anwendung.

Eine Begrenzung der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit ergibt sich in der vorliegenden Situation insbesondere aus der zeitlichen Nähe zum Bürgerentscheid.

Die vom Bundesverfassungsgericht gezogenen Grenzen für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung in der Vorwahlzeit (vgl. BverfGE 44, 125 ff.; BVerfGE 63, 230 ff.) haben auch Geltung für die Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinden vor einer Kommunalwahl (OVG NW, Städte und Gemeinderat 1988, 378; Rehn/Cronauge, Gemeindeordnung NW, Bd. I, Loseblatt-Sammlung, Stand 1999, § 42 I).

Die für die Kommunalwahl geltenden Grundsätze sind wiederum auch für die Durchführung des Bürgerentscheides zu beachten (so ausdrücklich "Kriterien für die Durchführung von Bürgerentscheiden in Essen", Ratsbeschluss v. 28.06.2000, Kriterium Nr. 9 sowie auch allgemein Rehn/Cronauge, aaO, § 26 VIII). Zu den maßgeblichen Grundsätzen auch beim Bürgerentscheid zu beachtenden Grundsätzen gehören die allgemeinen Wahlgrundsätze der Allgemeinheit, Unmittelbarkeit, Freiheit, Gleichheit und Geheimhaltung (Rehn/Cronauge, aaO; Schneider in Dieckmann/Heinrichs, Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Köln 1996, S. 126; Georg Fischer, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid - ein neues Element unmittelbarer Demokratie in der Kommunalverfassung von NRW, Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter -NWVBl.- 1995, 366 ff., 371; ders., Rechtsschutz der Bürger bei Einwohneranträgen sowie Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, Deutsche Öffentliche Verwaltung -DÖV- 1996, 181 ff., 187).

Eine Beeinflussung der Bürger von Seiten der Verwaltung, wie sie hier durch die versandten Schreiben stattfinden soll, verletzt den Grundsatz der Freiheit der Abstimmung.

Zwar ist auch in der "Vorwahlzeit", d.h., übertragen auf den Bürgerentscheid, in der Zeit nahe vor der eigentlichen Abstimmung, gemeindliche Öffentlichkeitsarbeit in Gestalt von Presseerklärungen oder Pressegesprächen grundsätzlich möglich (Rehn/Cronauge, aaO, §42I). Allerdings dürfen nicht die Grenzen zur unzulässigen "Wahlwerbung", hier Werbung für ein bestimmtes Abstimmungsverhalten, in einem ins Gewicht fallenden, spürbare Auswirkungen auf das "Wahl-" (Abstimmungs-)Ergebnis naheliegendem Umfang überschritten werden (ebenda).

Zur Abgrenzung der noch zulässigen Öffentlichkeitsarbeit von der nicht mehr zulässigen Werbung sind als Kriterien insbesondere der örtliche und zeitliche Zusammenhang zur Abstimmung und der sachliche Bezug hierzu heranzuziehen (VGH Mannheim, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungsreport -NVwZ-RR- 1996, 411 ff.). Es muss sich bei der unzulässigen Werbung für ein bestimmtes Ergebnis um öffentliche oder veröffentliche Äußerungen handeln, die bei objektivem Verständnis dazu geeignet sind, unmittelbar auf die Abstimmungsentscheidung der Bürger einzuwirken; es muss in der Äußerung Umstände geben, die für die Willensbildung des durchschnittlichen "Wählers" vernünftigerweise erheblich sein können (ebenda). Zwar muss die Regierung (hier Gemeindeverwaltung) auch Maßnahmen erläutern dürfen und insbesondere unpopuläre Maßnahmen, deren Notwendigkeit nicht unmittelbar einsichtig ist, dem Bürger nahe bringen dürfen (BVerfGE 63, 230 ff., 243). Allerdings findet diese Möglichkeit ihre Grenze dort, wo "Wahl"-Werbung beginnt. Gerade im Vorfeld von Wahlen (Abstimmungen) tritt das Interesse an einer entsprechenden Information zunehmend hinter das Gebot zurück, die Entscheidung von staatlicher Einflussnahme freizuhalten (BVerfGE 63, 230 ff., 244).

Gemessen an diesen Kriterien sind die versandten Schreiben als unzulässige Werbung für ein bestimmtes Abstimmungsverhalten zu qualifizieren.

Zum einen liegt mit etwa zwei Wochen Zeitabstand die Abstimmung zeitlich schon sehr nahe zur Versendung der Schreiben. Des weiteren ist ein unmittelbarer Bezug zum Bürgerentscheid ausdrücklich gegeben, indem dieser selbst zum Thema des Schreibens gemacht wird. Das Schreiben soll gerade gezielt auf die Willensbildung der Bürger einwirken und nicht bloß informieren. Dies wird am deutlichsten natürlich mit dem Aufruf zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten und dem Aufruf, für ein solches Verhalten auch bei Freunden und Bekannten zu werben. Auch zeigt es sich insbesondere daran, dass es speziell an Sportvereine und nicht etwa an alle Haushalte verteilt worden ist. Dies hat den Hintergrund, dass in den Sportvereinen eine am Thema der Bäderschließung besonders interessierte Gruppe von Bürgern vermutet wird, demgemäß also auch eine hohe Beteiligung an der Abstimmung erwartet wird. Dementsprechend kann gerade ein gezieltes Schreiben an diese Gruppen das Abstimmungsergebnis massiv beeinflussen. Hinzu kommt, dass in dem Schreiben erläutert wird, dass letztlich die höheren städtischen Ausgaben und die bedrängtere finanzielle Lage für den Fall, dass die Bäder nicht geschlossen würden, zu Lasten der Sportvereine gehen würden. Auch diese "Ankündigung" wird bewusst als Mittel eingesetzt, zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten einer ganz bestimmten Interessengruppe zu kommen.

Die Ankündigung erhält gerade deshalb ein besonderes Gewicht, weil sie von Seiten der Kommunalverwaltung kommt, die die zukünftigen Entscheidungen in diesem Bereich wird beeinflussen können. Diese Möglichkeit kann bewusst ausgenutzt werden, um Einfluss auf das Abstimmungsverhalten zu nehmen, und die Ankündigung von dieser Seite hat aufgrund der konkreten Entscheidungskompetenz natürlich ein ganz anderes Gewicht, als wenn sie von einer Interessengruppe von Bürgern käme, die diese Situation vorhersehen und vor ihr warnen, sie aber letztlich nicht beeinflussen können. Die "Warnung" wird dadurch, dass sie von Seiten der möglichen Entscheidungsträger ausgesprochen wird, hier schon fast zur Drohung. Zwar stammt das Schreiben vom Oberbürgermeister, während letztendlich die maßgeblichen Entscheidungen im Rat getroffen werden. Der Bürger wird jedoch, wenn er das Schreiben von Seiten des Oberbürgermeisters erhält, diese gedankliche Trennung auch nicht in der Weise nachvollziehen. Für ihn stellt es sich unmittelbar so dar, als würden als notwendige Folge eines entsprechenden Abstimmungsergebnissen von Seiten der "Stadtverwaltung insgesamt" die für die Sportvereine negativen Entscheidungen getroffen. Gerade da die staatliche Seite solche Möglichkeiten und eine solche Autorität beanspruchen kann, verstößt es gegen die demokratische Fairness, wenn tatsächlich Einfluss in dieser Weise genommen wird.

Ist aber "der Urheber einer Äußerung Inhaber eines Amtes, der in amtlicher Funktion handelt, verstößt sie (die Äußerung) u.a. dann gegen das KommunalwahlG, wenn sie mit dem Grundsatz der freien Wahl und dem Gebot der Neutralität im Wahlkampf unvereinbar ist. Die Freiheit der Wahl beinhaltet nicht nur, dass der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck zu sein hat, sondern auch, dass die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können." (VGH Mannheim, NVwZ-RR 1996, 411 ff.) Dem widerspricht es, wenn der Oberbürgermeister in amtlicher Funktion für ein bestimmtes Abstimmungsergebnis eintritt.

Ein anderes Ergebnis lässt sich auch nicht mit Blick auf Regelungen vertreten, die z.B. in Baden-Württemberg oder Hessen vorsehen, dass den Bürgern die innerhalb der Gemeindeorgane vertretene Auffassung darzulegen ist (vgl. hierzu Schwabe/Sundermann, Kommunalverfassung in NRW, 5. Auflage, Hamburg 1995, S. 218). Eine solche Vorgehensweise könnte zwar auch ohne gesetzliche Regelung ggf. in Nordrhein-Westfalen vom Rat beschlossen werden (ebenda). Zum einen würde jedoch das Vorgehen gestützt auf eine solche Informationsintention wiederum eine allgemeine Information aller Bürger, und nicht nur bestimmter Zielgruppen, voraussetzen (vgl. Schwabe/Sundermann, S. 218 - etwa durch öffentliche Bekanntmachung, Einwohnerversammlung oder Auslegung der Darstellung der Auffassungen zur Einsichtnahme bei der Gemeinde). Zum anderen wird die Vorschrift in den anderen Bundesländern so verstanden, dass alle Auffassungen, die im Rat zu dem Thema vertreten wurden, darzulegen sind (Michael Kromer, Bürgerbeteiligung in der Gemeinde - Ein systematischer Überblick, DVBl. 1985, 143 ff.). Demnach kann in dem Schreiben an die Vereine auch nicht eine zulässige Information über Auffassungen, wie andere Bundesländer sie vorsehen, gesehen werden.

Die Gemeindeverwaltung kann ihren eigenen Standpunkt auf die geschehene Weise vor dem Bürgerentscheid nicht mehr verdeutlichen. Mit Zulassung des Bürgerentscheids sind die Rollen für die Entscheidung neu verteilt: Der Bürger ersetzt die Rolle des Gemeinderats, und dieser hat in Bezug auf die Entscheidung keine Rechte mehr, die verletzt werden könnten und die er vertreten könnte (vgl. Kromer, aaO, S. 148). Die Stellungnahme für einen bestimmten Standpunkt und eine inhaltliche Diskussion vor dem Bürgerentscheid können im politischen Raum über Parteien, Initiativen oder Lokalmedien erfolgen, nicht aber über die Kommunalverwaltung, die in amtlicher Funktion tätig wird (vgl. Hofmann, Harald, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in der kommunalen Praxis, Verwaltungsrundschau 1997, S. 156 ff., S. 162). Diese hat im übrigen ja schon vor Einleitung des Verfahrens für den Bürgerentscheid im Rahmen der Diskussion um die Bäderschließung die Gelegenheit gehabt, ihren Standpunkt zu vertreten.

Zu beachten ist letztendlich auch, dass die Vertretungskörperschaften eine Pflicht zur Rücksichtnahme insbesondere bei weitem Verfahrensfortschritt haben (Hofmann, Harald, Muth, Michael, Theisen, Rolf-Dieter, Kommunalrecht in NRW, 10. Auflage 1999, S. 226). Diese hindert sie nach weitverbreiteter Auffassung daran, durch Vollzug eines bereits gefassten entgegenstehenden Ratsbeschlusses vollendete Tatsachen zu schaffen (ebenda), denn dies würde die vom Gesetzgeber gewollte Möglichkeit der Direktentscheidung durch die Bürger unterlaufen. Genauso dürfen die Vertretungskörperschaften die Ziele des Bürgerentscheids nicht durch Parteinahme und Werbung für den eigenen Standpunkt mit öffentlichen Mitteln aus amtlicher Position und mit amtlicher Autorität konterkarieren. Eine solche Pflicht zur Rücksichtnahme und Unterstützung ergibt sich sogar unmittelbar aus der Gemeindeordnung: Gemäß § 26 Abs. 2 S. 3 GO ist die Verwaltung in den Grenzen ihrer Verwaltungskraft bei der Einleitung eines Bürgerentscheids behilflich. Damit verträgt sich keine Handhabung, die gerade den Zielen des Bürgerentscheides zuwiderläuft.

 

Zusammenfassung

Bei der Durchführung eines Bürgerentscheids sind nach einem Beschluss des Rates die Vorschriften über Kommunalwahlen entsprechend anzuwenden. Hierzu zählt auch der Grundsatz der Freiheit der Wahl. Das bedeutet, dass eine Wahl, bzw. hier die Abstimmung, frei von staatlicher Einflussnahme sein muss. Aus diesem Grundsatz folgt eine Pflicht staatlicher Zurückhaltung bei der Öffentlichkeitsarbeit insbesondere im Vorfeld entsprechender Abstimmungen; insbesondere darf nicht für ein bestimmtes Ergebnis geworben werden. Mit den gezielten Schreiben an Sportvereine, in denen für ein bestimmtes Abstimmungsergebnis eingetreten wird, sind die Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Kommunalverwaltung und einer zulässigen Informierung der Bürger überschritten, da hier bewusst Einfluss auf das Abstimmungsergebnis genommen werden soll. Insbesondere wird nur eine bestimmte Zielgruppe, von der eine hohe Abstimmungsbeteiligung erwartet wird, angesprochen. Des weiteren ist ein bestehendes Gebot der Rücksichtnahme auf die Ziele des Bürgerentscheids verletzt.

 

Weitere Vorgehensweise

Für ein Eilverfahren besteht kein Anordnungsgrund, da es letztlich jetzt nichts mehr gibt, was durch das Gericht verhindert werden könnte. Als Rechtsschutzmöglichkeit stünde also nur die Feststellungsklage im normalen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zur Verfügung; und es könnte ca. eineinhalb Jahre bis drei Jahre dauern, bis es zu einer Entscheidung kommt.

Sollte das Ergebnis des Bürgerentscheides nicht wie erhofft ausfallen, könnte man ggf. noch eine Prüfung/Anfechtung; wie bei einer Kommunalwahl möglich, gestützt auf Unregelmäßigkeiten von entscheidendem Einfluss auf das Abstimmungsergebnis bei der Vorbereitung, erwägen.


Letzte Änderung: 05.10.2001 - nn
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